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Weibliche Häftlinge im Frauengefängnis Stollberg-Hoheneck bei der Zwangsarbeit in einer Näherei, aufgenommen im Dezember 1989.

© picture alliance / ZB

Update

Zwangsarbeit in DDR-Gefängnissen: Planerfüllung war das oberste Gebot

Häftlinge in der DDR waren billige Arbeitskräfte, die von den Betrieben gerne angefordert wurden. Für politische Gefangene waren die Bedingungen einer Studie zufolge besonders miserabel

Von Matthias Meisner

Politische Gefangene in der DDR wurden nicht aufgrund zentraler Weisungen schlechter behandelt als andere Häftlinge. Zu diesem Schluss kommt eine im Auftrag der Bundesregierung erstellte Studie des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) zum Thema Zwangsarbeit. Die Erklärung der Wissenschaftler: Im Vordergrund hätten die Zwänge der maroden Volkswirtschaft gestanden. Sie seien drängender gewesen als der Aspekt der „Erziehung“. Planerfüllung sei das oberste Gebot gewesen.
Die Ost-Beauftragte der Regierung, Iris Gleicke (SPD), sagte am Montag in Berlin, mit der Expertise zum Thema Zwangsarbeit in DDR-Gefängnissen werde ein „weißer Fleck“ bei der Aufarbeitung geschlossen. Es habe bisher zu wenig systematisches Wissen zum DDR-Strafvollzug gegeben. „Für die Behandlung der politischen Häftlinge gilt das in ganz besonderem Maße, was Spekulationen und wechselseitigen Schuldvorwürfen Vorschub leistet.“ Sie hielt auch fest: „Im DDR-Knast geschah systematisch Unrecht. Menschenrechte wurden verletzt, und mit dem Ziel des ,volkswirtschaftlichen Nutzens‘ wurden Menschen schamlos ausgebeutet.“
Der Historiker Jan Philipp Wölbern vom ZFF sagte, dass die Bedingungen für die politischen Häftlinge zumeist schlechter gewesen seien als für andere aus kriminellen Gründen einsitzende Mitgefangene. Allerdings hätten „Politische“ in der Gefangenenhierarchie an „unterster Stelle“ gestanden und meist die unbeliebten „Drecksarbeiten“ zugeteilt bekommen. Vonseiten der Anstaltsleitungen sei dagegen nicht eingeschritten worden.
Laut Wölbern waren jährlich zwischen 15.000 und 30.000 Strafgefangene zumeist an neuralgischen Punkten der Volkswirtschaft wie beispielsweise in der Energieversorgung eingesetzt. Häufig waren für diese Bereiche mit hoher Gesundheitsgefährdung, wie beim Schippen von Quecksilber in Chemiekombinaten, keine zivilen Arbeitskräfte zu finden. Deshalb wandten sich die Betriebe an die Haftanstalten und bekamen billige Arbeitskräfte, die flexibler einsetzbar waren und zudem keine Urlaubsansprüche hatten.
„Der Beitrag der Häftlinge zur Wirtschaftsleistung lag geschätzt zwischen 0,4 und 0,94 Prozent“, sagte Wölbern. Das entsprach weitgehend ihrem Anteil an der arbeitenden Bevölkerung. Von ihrem Verdienst sahen die Häftlinge in der Regel fast nichts.

Er wurde von den Behörden und Haftanstalten einbehalten. Der Historiker fand keine Belege, dass Zwangsarbeit im DDR-Strafvollzug als Erziehungsmittel eingesetzt wurde. „Der Einsatz der Häftlinge erfolgte schlicht dort, wo die Betriebe Bedarf angemeldet haben“, sagte Wölbern. Im Vordergrund hätten wirtschaftliche Erwägungen gestanden. Auch bei der Festsetzung der Normen sei keine systematische Benachteiligung von politischen Gefangenen erkennbar.
Nachweislich hätten einige Betriebe die Normen für Häftlinge deutlich über die zivilen Normen hinaus angehoben. Diese galten dann aber gleichermaßen für die Kriminellen. Noch weitgehend unerforscht sei der Zusammenhang zwischen Haftzwangsarbeit und körperlichen Langzeitschäden, sagte Wölbern. In Kombination mit den schlechten Haftbedingungen in DDR-Gefängnissen sei es aber durchaus glaubhaft, wenn Betroffene aktuelle Beschwerden auf ihre Haftzeit zurückführen. Der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, Roland Jahn, sprach sich für eine weitere Studie zu diesem Thema aus. „Es geht um die Menschen und deren Schicksale“, sagte Jahn: „Wir müssen den Leuten, die damals gelitten haben, gerecht werden.“
Bereits im vergangenen Jahr hatte die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) eine Studie zur Zwangsarbeit in der DDR vorgelegt. Danach profitierten in der DDR fast alle Wirtschaftszweige von der Ausbeutung von Häftlingen, auch West-Firmen waren demnach Nutznießer der Zwangsarbeit. Der schwedische Möbelkonzern Ikea hatte schon 2012 zugegeben, dass in der DDR politische Häftlinge und Strafgefangene unter Zwang Möbel für das Unternehmen herstellen mussten. (mit epd)

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