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Politik: Zweierlei Opportunismus

STOIBER IN PASSAU

Von Peter Siebenmorgen

Man braucht nicht viel Fantasie, um sich Edmund Stoibers Rede zum diesjährigen Politischen Aschermittwoch in Passau in etwa vorzustellen. Auch ein zur Demagogie unbegabter CSU-Vorsitzender fände derzeit reichlich Stoff zur scharfen Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Es ist längst nicht ausgemacht, ob die größere Regierungsfraktion den eingeschlagenen Reformkurs wirklich rückhaltlos mittragen wird. Zudem ist der Konflikt zwischen Franz Müntefering und Wolfgang Clement, der weiter zurückreicht, als die Tagesaufgeregtheiten vermuten lassen, keineswegs ausgestanden.

Ansonsten kann Stoiber bei seiner Rede nahtlos an die diesjährigen Karnevalsthemen anknüpfen. Hierzu zählen in dieser Session allerdings nicht nur Maut-Desaster und dergleichen, sondern auch die ungeklärten Führungs- und Richtungsfragen der Union selbst. Eine der vielen, bei weitem jedoch nicht die zentrale, ist die nach dem Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten. Einem konservativen Geist, der Stoiber immer noch irgendwie ist, will es partout nicht einleuchten, dass man sich nicht auf jenen verständigen können sollte, der doch nach Meinung aller der Beste ist. Bei allem Respekt vor taktischen Erwägungen gegenüber der FDP: Der einzige Schwanz, der mit dem Hund wedeln darf, soll, bitte sehr, die CSU bleiben! Mit übergroßer Leidenschaft für Wolfgang Schäuble sollte man Stoibers abermaliges Bekenntnis am Vorabend des Aschermittwochs jedoch nicht verwechseln. Dafür eignet sich die Sache zu sehr, um sich gegen eine indifferente CDU-Chefin abzugrenzen.

Nach diesem Muster wird mutmaßlich einiges in Stoibers diesjähriger Fastenpredigt gestrickt sein. Dem Grunde nach haben – trotz allem Getöse wider die Konkurrenz – die Botschaften an das Innere der Union ja auch in der Vergangenheit immer den eigentlichen Reiz des Politischen Aschermittwochs ausgemacht. Nie aber seit dem Tod von Strauß lagen unter der trügerisch glatten Oberfläche mehr Spannungen zwischen den beiden Unionsparteien verborgen als heute.

Natürlich hat das auch mit dem jeweiligen Selbstverständnis der ungleichen Schwestern zu tun, die bessere Union zu sein; vor allem mit den daraus abgeleiteten weiter gehenden Ansprüchen. Glaube niemand, Edmund Stoiber und die CSU hätten die Kanzlerschaft für ihre Partei aus dem Sinn verloren, so entfernt jene derzeit in der Realdistanz auch liegen mag. Doch ist es nicht nur ein Machtspiel – subtiler ausgetragen als zwischen Strauß und Kohl, wohl wahr –, was zwischen CDU und CSU gegenwärtig im Untergrund abläuft. Es ist, mehr noch, ein Ringen um die Mitte der Union und um den Platz der Union – mitten im Leben.

Beiden Parteivorsitzenden, Angela Merkel wie jenem Edmund Stoiber, den man seit dem Bundestagswahlkampf 2002 erleben kann, wird nicht zu Unrecht ein gehöriges Stück Opportunismus nachgesagt. Bei Licht betrachtet handelt es sich jedoch um zwei völlig unterschiedliche Spielarten. Merkel neigt dazu, sich die Dinge offen – in der Bundespräsidentenfrage: unerträglich offen – zu halten, um zu sehen, wohin die Reise geht. Erst wenn mit einer Entscheidung kein großes Risiko mehr verbunden ist, kommt sie in der Regel zu Entschlüssen.

Bei Stoiber liegt der Fall ein wenig anders. Seine Anpassungsgabe gründet in der Einsicht, dass weit gehende Veränderungen für die meisten Menschen nur mit diesen, nicht gegen sie möglich sind. Dass erklärt auch, wieso Stoiber, ansonsten durchaus zum Eifern begabt, beim Reformieren alles andere als ein Tempomacher ist. Und hierin liegt auch der eigentliche Grund, warum Stoiber und nicht Merkel beim Vermittlungsmarathon im vergangenen Jahr den letztlich konstruktiven Part seitens der Union übernommen hatte. Beim Blick auf Stoibers Disposition zum Zögerlichen im Reformparcours ist freilich im Konkreten nur noch sehr schwer unterscheidbar, wo echte Bürgernähe aufhört und schierer Populismus beginnt. Doch eben diese Undeutlichkeit hat stets den eigentlichen Charakter der CSU ausgemacht. Und als Erfolgsrezept funktioniert das immer noch. Denn die CDU ist es kaum noch, die SPD schafft es nicht mehr, die FDP wollte es niemals sein, was die CSU immer noch ist: eine echte Volkspartei.

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