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Politik: Zweifel am Patriarchen

Parteifreunde rügen offen Premier Erdogan.

Istanbul - Der machtgewohnte türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sieht sich ungewohnter Kritik aus den eigenen Reihen ausgesetzt. Anlass ist dessen umstrittene Ankündigung, er werde unverheirateten Studenten und Studentinnen das gemeinsame Wohnen unter einem Dach verbieten.

Erdogan hatte schon bei der Protestwelle im Sommer viele Türken mit seinem autoritären Führungsstil und seiner niedrigen Toleranzschwelle für Andersdenkende verärgert. Nun wird dem Premier vorgeworfen, im Namen islamischkonservativer Moralvorstellungen die Grundrechte erwachsener Bürger zu verletzen. Selbst in den Reihen der Erdogan-Partei AKP gibt es Missmut über den Hardliner-Kurs des Regierungschefs. Fatma Bostan Ünsal, eine Mitbegründerin der AKP, sprach von einer „sehr gefährlichen Lage“.

Vizepremier Bülent Arinc, nach Erdogan der mächtigste Mann in der AKP, beschwerte sich sogar öffentlich über seinen Chef. Als Regierungssprecher hatte Arinc erste Berichte über Erdogans umstrittene Äußerungen über das gemeinsame Wohnen von Studenten und Studentinnen zurückgewiesen – um am nächsten Tag erleben zu müssen, dass Erdogan die zunächst dementierten Forderungen bestätigte.

Bei einigen in der AKP macht sich vier Monate vor wichtigen Kommunalwahlen das Gefühl breit, der streitlustige und von gefügigen Beratern umgebene Ministerpräsident schlage immer häufiger über die Stränge. Die Partei verabschiede sich zunehmend von ihrem einstigen Charakter als Reformkraft und rücke weiter in die islamisch-konservative Ecke. Bislang war Erdogan in der AKP unumstritten. EU-Minister Egemen Bagis verglich den Premier zum Beispiel mit einem Familienoberhaupt, dessen Autorität außer Frage stehe. Doch in Öffentlichkeit, Kabinett und Regierungspartei wachsen Zweifel am Patriarchen. Thomas Seibert

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