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Politik: Zweifel am Regierungshandwerk

Der Präsident hat zuletzt zwei Gesetze gestoppt: Jetzt fürchtet die Koalition um ihre Gesundheitsreform

Berlin - Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg zu Protokoll gibt. Wenn es beim Gesetzentwurf zur Gesundheitsreform Hinweise auf Verfassungsprobleme gebe, sagt Steg am Montag, würden die im Lauf der parlamentarischen Beratungen alle noch berücksichtigt respektive ausgeräumt. Und die zuständigen Ministerien Justiz und Inneres würden gewiss sehr genau prüfen, um „keinen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit“ zu lassen. So soll, so muss das sein. Aber nachdem Bundespräsident Horst Köhler jetzt kurz nacheinander zwei Gesetze gestoppt hat und die Regierung selbst das dritte, zum Nichtraucherschutz, vorzeitig aus dem Rennen nehmen musste, erscheinen derlei Selbstverständlichkeiten eben so selbstverständlich nicht mehr.

Tatsächlich hat sich die Koalition in eine peinliche Lage gebracht, was viele unter der Hand und einige wenige öffentlich auch einräumen. Dass Gesetze und Gesetzentwürfe im öffentlichen Meinungsstreit schon mal schnell das Etikett „verfassungswidrig“ aufgepappt bekommen, ist eher die Regel als die Ausnahme. Vor allem Lobbygruppen sind oft rasch mit Bewertungen und Gutachten zur Hand, die belegen sollen, dass ihre jeweiligen Interessen geradezu Verfassungsrang haben.

Derlei Bedenken gehen manchmal in Gesetzestexte ein, wenn der Bundestag in seinen Ausschüssen über die Formulierungen berät. Aber oft werden sie auch ignoriert – und das häufig mit Recht: Die meisten der Gesetze, die schon mal unter den Verdacht der Verfassungswidrigkeit geraten waren, haben sich hinterher vor dem Präsidenten wie vor Gericht als durchaus verfassungsfest erwiesen.

Doch derlei gelassenen Umgang mit Verfassungsbedenken, heißt es in der Koalition leise zähneknirschend, werde man sich wohl jetzt erst mal nicht mehr leisten können. Würde Bundespräsident Horst Köhler in Kürze noch ein Gesetz stoppen, wäre die Blamage endgültig da. Als Wackelkandidat ins Gerede gekommen ist bereits die Einigung zwischen Bund und Ländern über die Kosten der Unterkunft für Hartz-IV-Empfänger – eine politisch hoch diffizile Verhandlungslösung, um die Interessen der Länder und Gemeinden einerseits, die Interessen des Bundesfinanzministers andererseits unter einen Hut zu bekommen. Obendrein hat Zeitnot den Kompromiss diktiert; sonst fehlt ab dem 1. Januar schlicht die Gesetzesgrundlage für die unstreitig erforderlichen Zahlungen.

Ob das allein freilich Köhler daran hindern würde, erneut Einspruch zu erheben, ist durchaus zweifelhaft. Der Präsident war als Spitzenbeamter früher selbst intensiv mit Gesetzgebung befasst, aber auch – zumal in der Zeit der deutschen Einheit – mit der Notwendigkeit zur gelegentlichen kreativen Improvisation. Dass er seine Nachfolger im Regierungsamt jetzt so deutlich zurechtweist, mag ein Indiz dafür sein, dass ihm da vielleicht zu viel Improvisation am Werke scheint.

Profitieren von den letzten Blamagen könnten am Ende die privaten Krankenversicherungen (PKV). Denn Verfassungsbedenken gegen die Gesundheitsreform sind vor allem aus dem PKV-Bereich laut geworden. In dem geplanten neuen Basistarif und der Möglichkeit, bei Kassenwechseln Rückstellungen mitzunehmen, sehen die Privatversicherer zum Beispiel Grundrechtsprobleme: Beides verändere die Kalkulationsgrundlagen zulasten der Versicherten. Auch daran, dass Kinder nur in der gesetzlichen Kasse auf Staatskosten beitragsfrei mitversichert werden sollen, nicht aber in der Privatkasse, hegt die PKV verfassungsrechtliche Zweifel. Der Direktor des Verbands der Privaten Krankenversicherung, Volker Leienbach, rechnet „definitiv“ mit Verfassungsklagen gegen die Reform. Gut 100 Versicherte hätten dies angekündigt. In einem Gutachten hatte auch der Berliner Staatsrechtler Helge Sodann unlängst kritisiert, die Reform verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Ob das wirklich so ist, ist die eine Frage. Ob die Koalition sich leisten kann, es darauf ankommen zu lassen, ist eine ganz andere. Nach den jüngsten Blamagen werde einerseits die Einsicht wachsen, vermutet ein Spitzenkoalitionär, dass politischer Wille und das Gefühl, das Notwendige und Richtige zu tun, einfach nicht ausreichten. Das werde hoffentlich dazu führen, verfassungsrechtliche Bedenken – gerade auch solche scheinbar unwichtigen Dinge wie die Frage der Zuständigkeit – künftig ernster zu nehmen.

Aber die neu erzwungene Sensibilität könne natürlich auch eine andere, weniger erfreuliche Nebenwirkung haben: „Wir dürfen jetzt auch nicht jedem nachgeben, der laut ’grundgesetzwidrig!’ ruft, bloß aus Angst, der könnte recht haben.“

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