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Politik: Zweiter Sieger

Im Osten kam die Konjunktur nicht in Gang: Moskau wollte zu viel für sich haben

„Von den Sowjetmenschen lernen heißt siegen lernen.“ Mit dieser Parole wollte der Osten nach der verheerenden Niederlage im Krieg den Wiederaufstieg schaffen – und dem kapitalistischen Westen beweisen, dass der Sozialismus das überlegene System ist. Zwar blieb der Aufbau in der DDR nicht ohne Erfolg. Doch im Vergleich zur Bundesrepublik war der Arbeiter und Bauernstaat stets zweiter Sieger – aus gutem Grund: Demontage von Maschinen, der Zwang zu Reparationsleistungen, Arbeitskräftemangel, die Abschottung des Landes und die Umstellung auf die zentral gesteuerte Planwirtschaft verhinderten, dass es ab den Fünfzigerjahren ein ähnliches Wirtschaftswunder wie im Westen gab.

Dabei waren die Voraussetzungen für die Wirtschaft direkt nach der Kapitulation 1945 sogar besser als im Westen. Zwar stand auch in Ostdeutschland für kurze Zeit alles still – doch die Fabriken waren auch 1945 noch wesentlich leistungsfähiger als vor dem Krieg. „Der heutige Osten Deutschlands hatte stärker von der Kriegskonjunktur profitiert als der Westen“, sagt der Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl von der Berliner Humboldt-Universität. Denn dort wähnten die Nazis die Produktionsanlagen vor Luftangriffen besser geschützt als etwa im Ruhrgebiet – schon wegen der begrenzten Reichweite der alliierten Bomber. Deshalb ließen sie vor allem jenseits der Elbe investieren.

Das machten sich die Sowjets nach ihrem Einmarsch zunutze. Experten schätzen, dass die DDR bis 1953 rund 14 Milliarden Dollar an Wiedergutmachungsleistungen an Moskau zahlen musste. Das entspricht in etwa der Summe, die Amerika im Zuge des Marshall-Plans nach ganz Westeuropa überwies. Rund 1000 Betriebe wurden in diesen Jahren komplett demontiert, Hunderte weitere mussten Teile ihrer Maschinen abgeben. Hinzu kam der Abbau von Schienen, die Mitnahme von Waggons, Lokomotiven und Schiffen oder der Zwang zur Lieferung von Maschinen an die kommunistische Siegermacht. Einst blühende Branchen wie die Autoindustrie erholten sich von der Demontage nie wieder. Den Schaden durch die sowjetischen Raubzüge schätzen Forscher heute größer ein als den durch den eigentlichen Krieg.

Die schwerste Hypothek für den Osten war indes der Aufbau des Sozialimus. Er sorgte zum einen dafür, dass zwischen 1950 und 1961 rund 3,1 Millionen Menschen die DDR verließen – Ingenieure, Facharbeiter, kleine und mittelständische Unternehmer, ohne die Innovation und Wachstum in einer Volkswirtschaft zwangsläufig erlahmen. Zum anderen drückte er die Produktivität der Menschen und Betriebe, die noch dageblieben waren, dramatisch.

„Mit der Kollektivierung der Betriebe begann im Osten ein Rückgang der Produktivität um 30 bis 40 Prozent“, sagt Ritschl. Zudem wollten die DDR-Oberen mit Investitionen ihre Betriebe in erster Linie erweitern und vergrößern – Innovationen wurden hintangestellt. Und wenn investiert wurde, dann in die Grundstoff- und in die Schwerindustrie – in Eisenhüttenstadt, Calbe oder später in Schwarze Pumpe. Auch durch den Handel mit anderen Ländern konnte die DDR kaum lernen. Die Vernetzung mit der westlichen Wirtschaft war gekappt, in Osteuropa war die industrielle Basis schwach, High-Tech-Betriebe existierten kaum.

Als fatal sollte sich auch herausstellen, dass sich die Preise nicht frei bilden konnten. Ebenso die Umstellung der Wirtschaftsrechnung auf den Sowjetstandard, bei dem bei der Produktion Masse statt Klasse zählte. Ein Wirtschaftswunder, zumindest eines wie im Westen, konnte sich unter diesen Bedingungen nicht einstellen. Ineffizienz, Rationierung und Mangel begleiteten das Wirtschaftssystem bis zu seinem Ende 1989. Für diese Diagnose genügte schon ein Blick in die Küchen in Ost und West: Verfügten 1961 im Westen 91 von hundert Bürgern über einen Kühlschrank, waren es im Osten gerade einmal sechs von hundert. brö

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