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Politik: Zweiter Wachwechsel

Der Irak versinkt seit Wochen in Willkür und Chaos – jetzt ersetzen die USA ihre überforderte Verwaltung

Bagdad. In den Straßen von Bagdad leben die Menschen auch Wochen nach dem faktischen Kriegsende in ständiger Gefahr. Marodierende Banden plündern und rauben weiter, tausende von scharfen Minen liegen herum. Vor allem spielende Kinder, die wegen der angespannten Lage bis heute nicht zur Schule gehen können, werden grausam verstümmelt oder getötet.

Wochenlang sah die USArmee der Rechtlosigkeit mehr oder weniger tatenlos zu. Seit wenigen Tagen jedoch scheint Washington gewillt, der Anarchie nicht länger zuzusehen. Mit neuen Köpfen in der Zivilverwaltung und konkreten Schutzmaßnahmen soll ein zweiter Anlauf genommen werden, aus dem besiegten Irak ein friedliches Land zu machen.

Die Patrouillen in Bagdads Straßen sollen ab sofort verstärkt werden, hieß es etwa am Dienstag von Seiten des US-Militärs. Vor allem scharfe Bomben und Minen soll das zusätzliche Personal aufspüren. In rund zwei Wochen sollen außerdem rund tausend neue Militärpolizisten die Sicherheitslage in Bagdad verbessern.

Die Ankündigungen sollen wohl auch ein Zeichen für einen Neubeginn bei der Befriedung des Landes setzen. Einen Tag, nachdem Paul Bremer als neuer Chef der US-Zivilverwaltung im Irak seinen Dienst angetreten hat. Der Diplomat löst den Ex-General Jay Garner auf dem Posten ab. Auch die als Verwalterin für Bagdad und den Zentralirak eingesetzte Botschafterin Barbara Bodine wurde wegen der anhaltenden Gewalt in der Hauptstadt abgesetzt.

Nach außen bekunden Garner und Bremer Harmonie. Doch für Beobachter ist klar, dass der Wiederaufbau im Irak bisher längst nicht so glatt verlaufen ist wie die Militäroffensive. „Wenn wir nicht schnell etwas unternehmen, dann wird uns das hier um die Ohren fliegen“, zitiert die „New York Times“ einen US-Beamten. Viele in Washington machen Garner und sein Team für den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung verantwortlich. Dem Ex-General wird vorgeworfen, er habe sich aus berechtigter Sorge um seine Sicherheit zu sehr hinter den Mauern eines ehemaligen Palastes von Saddam Hussein verschanzt und sich damit für die Iraker „unsichtbar“ gemacht.

Hinzu kamen Probleme bei der Zusammenarbeit mit den Militärs. Es war unklar, wer denn nun die höchste Befehlsgewalt im Irak hat. Der Kommandeur der Landtruppen im Irak gab Ende April einen Erlass heraus, in dem er feststellte, dass nicht Garner, sondern seine Truppen die höchste Autorität im Land darstellten. Und während Garner unsichtbar blieb und sich das Militär aus Angst zurückhielt, es könne mit einem zu harten Durchgreifen gegen Plünderer die Iraker gegen sich aufbringen, eskalierte die Lage. Zugleich gelang es den Amerikanern nicht, genügend für die Bevölkerung zu unternehmen. So gibt es in vielen Stadtteilen noch immer keinen Strom und kein funktionierendes Telefonnetz.

Bremers Ernennung ist auch ein Sieg für Außenminister Colin Powell. Mit der Nominierung des Diplomaten setzte er sich gegen die Hardliner um Donald Rumsfeld durch. Der Verteidigungsminister hatte stets gefordert, der Wiederaufbau müsse Sache des Pentagon sein. Die Rückendeckung von Präsident Bush jedenfalls hat der neue Zivilverwalter. Bremer sei ein „Macher“, lobte der Präsident den 61-Jährigen. dpa/Tsp

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