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Politik: Zwischen Kopfund Bauch

HEUTE WIRD GEWÄHLT

Von Giovanni di Lorenzo

Zeitungen sollten keine Wahlempfehlungen geben. Sie können aber dem Wähler einige Mittel an die Hand geben, die ihm helfen, eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Warum in diesem Jahr bei einigen Journalisten der Bekenner- und Bekehrungsdrang ausgebrochen ist, bleibt schwer nachzuvollziehen. An einer besonderen Treffsicherheit unseres Berufsstandes kann es nicht liegen. Kaum einer, der nach den von Woche zu Woche schwankenden Wahlumfragen auch nur eine Flasche Mineralwasser auf Schröder oder Stoiber verwetten würde. Und sollte Schröder wirklich die Wahl am heutigen Sonntag gewinnen – die Wirkung von Zeitungen und Zeitschriften auf den Wähler müsste neu erforscht werden. Selten bekam eine Koalition unmittelbar vor den Wahlen eine so vernichtende Presse.

Wir wollen oder können also zwei Fragen nicht beantworten: Wer sollte unserer Meinung nach die Wahl gewinnen? Und: Wer wird sie gewinnen? Aber erlaubt sind ein paar Begründungen: Warum die eine Partei gewinnen, die andere verlieren könnte. Im Falle einer Mehrheit für Schwarz-Gelb ist das leicht. Es wäre eine (vor allem kopfgesteuerte) Entscheidung zugunsten einer konservativ-liberalen Allianz, der man mehr Sachverstand und Veränderungswillen auf dem Arbeitsmarkt zutraut. Die FDP bezieht die Prügel wegen Möllemann zu Recht. Was aber zuletzt auch von Konservativen auf die Liberalen niedergeprasselt ist, wirkte so, als wollte man partout bestreiten, dass die FDP inhaltlich auch etwas zu bieten hat.

Wenn die SPD die Regierung bilden kann, dann aus (eher bauchgesteuerten) Gründen: Schröder, Schröder und nochmal Schröder. Er ist der Mehrheit der Deutschen sympathischer als sein Herausforderer, und er hat der Kriegsangst, aber auch einer links wie rechts verbreiteten Abneigung gegen Bushs Amerika Stimme gegeben. Schließlich wäre sein Sieg auch ein Indiz dafür, dass man noch mehr als die Wirtschaftskrise zu viele Veränderungen auf einmal fürchtet. Und die oft totgesagten Grünen? Sie haben zuletzt auf eine erfolgversprechende Kombination aus Personalisierung („Joschka“) und Rückkehr zu grünen Themen (Klima, Frieden) gesetzt.

Der Widerstand gegen einen Irak-Einsatz und die prompt in Aussicht gestellten Hilfen für die Flutopfer haben die PDS bisher klein gehalten, eine Partei, die zudem ein schwache Kampagne gemacht und wichtige Köpfe verloren hat. Ironischerweise kann Rot-Grün aber auch daran scheitern, dass die PDS nicht mehr in den Bundestag kommt.

Der Wahlkampf ist zu Unrecht als oberflächlich verdammt worden. Er hat die Wähler mobilisiert und emotionalisiert, er hat die vielen ungelösten Probleme im Lande wie selten zuvor ins Bewusstsein gerückt. Das Fernsehen hat mit den Duellen nicht den Untergang des Abendlandes ausgelöst, vielmehr Vor- und Nachteile der Kandidaten herausgestellt. Ganz gleich, wer die Wahl gewinnt, er wird für seine Wahlkampflügen genug Buße tun. Auf ihn kommen grausam schwere Zeiten zu. Eine kleine Empfehlung können wir uns am Ende doch nicht verkneifen: Ein freiwilliger Stopp der Meinungsumfragen vier Wochen vor der Wahl wäre ein schönes Staatsziel – eine Bremse gegen den ausufernden Opportunismus.

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