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Politik: Zwischen Kuba und Norduganda

Nachtsitzung im Deutschen Bundestag: Wie die Opposition verzweifelt nach ihrer Rolle sucht

Berlin - Gernot Erler ist müde. Nächtens hat sich der SPD-Abgeordnete auf den Weg gemacht, um Anwesenheit zu demonstrieren in wichtigen außenpolitischen Angelegenheiten. Es ist Donnerstag, 23.30 Uhr, er sitzt allein in der ersten Reihe der Regierungsbank im Bundestag. Er konzentriert sich ganz auf die Vorlage in seiner Umlaufmappe. Er liest sie wieder und wieder. Unterdessen kreist die laufende Debatte um Investmentfonds um ihn, beginnt zu hallen im Rund unter der Reichstagskuppel. Die Klimaanlage hat das Haus auf gefühlte zwölf Grad hinuntergekühlt. Die Müdigkeit siegt.

Die Tagesordnung sieht in dieser Nacht eine Sitzung bis 5.15 Uhr vor. Erst die Hälfte ist geschafft. Vieles hat sich das Parlament vor der Sommerpause noch vorgenommen: das Antidiskriminierungsgesetz, das Verbraucherinformationsgesetz, den Europäischen Haftbefehl. Am Freitagmorgen die Föderalismusreform. Alles muss schnell gehen, keiner will an diesem WM-Freitag noch um 17 Uhr im Parlament sitzen. Die Koalition will zeigen, dass sie die Macht hat, die Opposition, dass sie noch da ist. Vor allem das ermüdet.

In einer Zeit, in der sich SPD und Union Tag für Tag um Gesundheit, Föderalismus und Antidiskriminierung zerreiben, bleibt die Opposition merklich blass. Joschka Fischer hat sich gerade nach Princeton verabschiedet. Die Grünen bringen als Tagesordnungspunkt 21 ein Urwaldschutzgesetz ins Plenum. FDP-Chef Guido Westerwelle wettert gegen das Antidiskriminierungsgesetz. FDP-Antragsberatungen zur Hochseeschifffahrt finden ohne ihn statt. Oskar Lafontaine taucht gegen sieben Uhr abends auf, hält eine kurze Rede. Ab acht sitzt der Fraktionsschef der Linkspartei im Parlamentsrestaurant und trinkt Bier. Seinen Fraktionskollegen im Plenum ist die Lage im Norden Ugandas ein besonderes Anliegen.

Vielleicht gäbe es wichtigere Projekte für die Opposition. Am Donnerstag früh wird das deutlich, als SPD und Union kurzerhand eine Sitzung des Finanzausschusses beantragen und die Opposition übertölpeln. Die Koalitionspolitiker „nehmen das Parlament nicht mehr ernst“, klagt der Grüne Hans-Christian Ströbele und spricht von einer „Verwilderung der Sitten“. FDP, Grüne und Linkspartei bringen es zusammen auf nicht einmal ein Drittel der Mandate. Zu Beginn dieser Legislatur gelang es der Opposition zweimal, die Koalition zu ärgern: als Schwarz-Rot einen verfassungswidrigen Haushalt vorlegen wollte und bei der Aufklärung der BND-Affäre. Doch in dieser Nacht ärgern die Grünen lieber die Linkspartei und verlangen eine Abstimmung über die Meinungsfreiheit in Kuba. FDP und Grüne lassen sich von der Union in der Uganda-Frage einspannen, und bei der Antidiskriminierung stimmen die Grünen mit der Regierung.

Gernot Erler ist wieder wach. Seine Anwesenheit war nicht nötig, ein Antrag über Weißrussland wurde der nächtlichen Stunde wegen „z. Prot.“, zu Protokoll, gelegt. Es ist 0.25 Uhr. Parlamentsvize Petra Pau stellt fest: „Ich berufe die nächste Sitzung auf heute, 8 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.“

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