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Ein algerischer Junge bei einer Beschneidungs-Zeremonie.

© dpa

Zwischen Riten und Richtern: Weiter Kritik am Beschneidungs-Urteil

Die Kritik am Kölner Beschneidungs-Urteil ebbt nicht ab – sowohl von muslimischen als auch von jüdischen Verbänden wird der Entscheid als grundsätzlicher Affront gegen ihre Religion gesehen.

Im Streit um die Beschneidung von muslimischen und jüdischen Jungen haben beide Religionsgemeinschaften ihre Haltungen bekräftigt: Auch die liberale World Union for Progressive Judaism (WUPJ) zeigte sich „entsetzt und empört“ über ein Urteil des Landgerichts Köln, das die Entfernung der Vorhaut als einfache Körperverletzung eingestuft und festgestellt hatte, dass das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit Vorrang vor dem der Eltern auf Religionsfreiheit und Erziehungsrecht habe.

Der Weltdachverband des liberalen Judentums nannte es einen „Affront gegenüber der Freiheit des Menschen“, wenn Eltern das Recht genommen werde, ihre Kinder in die Riten einzuführen, die ihrer Religion heilig sind. Seit vorchristlicher Zeit schon hätten immer wieder Regierungen versucht, die Beschneidung zu bannen, um „die jüdische Religionspraxis auszulöschen oder zu delegitimieren“. Der Umstand, dass „nicht einmal 70 Jahre nach dem Holocaust Deutschland sich in diese unheilige Allianz einreiht, ist schlicht erschreckend“, schreibt die WUPJ. Das Kölner Urteil bedrohe „die Grundfesten unserer religiösen Überzeugungen“.

Die konservativ-muslimische Islamische Gemeinschaft Milli Görüs dankte am Montag all jenen in „Fachwelt, Politik und Kirchen“, darunter Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle (FDP), die Kritik am Kölner Urteil geäußert hatten. Ihr Vizevorsitzender Mustafa Yeneroglu erklärte, das Gericht habe Grundrechte „mangelhaft“ gegeneinander abgewogen. Über die juristische Bewertung hinaus enthalte die Entscheidung von Köln „an alle Muslime und Juden in Deutschland die Botschaft, dass die Ausübung ihrer Religion illegal ist“. Der Gesetzgeber dürfe nun nicht aufs Verfassungsgericht warten, sondern solle ein Gesetz einbringen. Ähnlich hatte sich am Wochenende der integrationspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Serkan Tören im Tagesspiegel geäußert. Wenn man in einem Gesetz definieren könne, „was nicht geht, dann kann man dort auch definieren, was geht“.

Dabei trifft das Argument der Kölner Richter durchaus auch unter Muslimen auf Verständnis: „Dass es sich im Falle der Beschneidung um Körperverletzung im Sinne eines irreversiblen Eingriffs handelt, kann man nicht einfach wegwischen“, sagte Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime. „Das ist aber auch eine Impfung, die in Extremfällen sogar zum Tode führen kann. Dennoch sind bestimmte Impfungen für Kinder vorgeschrieben.“ Jenseits der religiösen Bedeutung der Beschneidung für Muslime und Juden sieht Mazyek auch „ein Stück Zeitgeist“ hinter dem Kölner Urteil, eine „langsame Entmündigung der Eltern“ durch Gerichte und Jugendämter. „Das finde ich sehr dramatisch.“

Der Arzt, ein in Köln niedergelassener Allgemeinmediziner, war vom Landgericht freigesprochen worden, weil er nach dessen Ansicht nicht wissen konnte, dass er etwas Strafbares tat, als er dem vierjährigen Jungen muslimischer Eltern die Vorhaut entfernte. Er habe zudem fachlich einwandfrei gehandelt. Weil es dennoch nach dem Eingriff Komplikationen gab und das Kind blutete, brachte es die Mutter ins Krankenhaus, wo die Ärzte die Staatsanwaltschaft einschalteten.

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