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Hochrechnungen zufolge war oder wird jedes zehnte Kind ein Missbrauchsopfer.

© picture alliance / dpa

Zwischenbericht vorgestellt: Experten: Kindesmissbrauch findet meist in Familie statt

Es sind erschütternde Lebensgeschichten, wenn Erwachsene sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit schildern. Eine Kommission wertete hunderte Einzelschicksale aus.

Tim war zehn, als sein Stiefvater ihn in ein perverses System zwang. Der Stiefvater missbrauchte Tim, für Analverkehr durfte sich der Zehnjährige viel kaufen, für Oralverkehr schon weniger, und „für die Hand nur was Kleines“. So schilderte Tim seine Missbrauchs-Erfahrungen der Unabhängigen Missbrauchskommission.

Es ist eine von 200 Anhörungen, eine von 200 Geschichten, die „uns aufgewühlt haben“, sagt die Kommissionsvorsitzende Sabine Andresen, eine Kindheitsforscherin. Seit Mai 2016 untersucht die Kommission Kindesmissbrauch in der Bundesrepublik und in der DDR.

Am Mittwoch stellten die Forscher einen Zwischenbericht vor, mit erschreckenden Ergebnissen. 70 Prozent der Betroffenen haben Missbrauch in der Familie oder im direkten Umfeld erfahren, die Täter finden sich in allen gesellschaftlichen Schichten und in allen Altersstufen. 1000 Betroffene haben sich insgesamt gemeldet, die meistern werden noch angehört. 170 haben ihre Erlebnisse schriftlich mitgeteilt.

Forscher fordern gesellschaftliche Debatte

Drei Punkte beklagen die Betroffenen übereinstimmend: Ihnen wird erst gar nicht zugehört. Oder, wenn sie gehört werden, glaubt man ihnen nicht, auch wenn sie als Erwachsene ihre Schreckenserlebnisse schildern. Und, drittens, sie möchten dringend, dass sich in der Gesellschaft etwas ändert, damit die Zahl der Missbrauchsfälle sinkt.

Matthias Katsch, selber Missbrauchs-Opfer und ständiger Gast der Kommission, sagte bei der Vorstellung des Berichts, dass nach Hochrechnungen jedes zehnte Kind in Deutschland ein Missbrauchs-Opfer wurde oder werde. Emotional besonders schlimm sind Missbrauchserfahrungen in der Familie. „Der Vater ist Bezugsperson, gleichzeitig tut er seinem Kind aber etwas Schreckliches an“, sagte Sabine Andresen.

Da der Missbrauch meist in der Familie stattfindet, dieser Bereich aber sehr geschützt ist, wirft Andresen die Frage auf, „wie wir hier die Betroffenen besser schützen können“. Deshalb müsse eine gesellschaftliche Debatte stattfinden.

Für Katsch ist eine generelle gesellschaftliche Debatte zum Missbrauch ohnehin überfällig. „Missbrauch ist ein alltägliches Phänomen“, sagte er. „Trotzdem herrscht bei diesem Thema allgemeines Schweigen.“ Katsch fordert, „dass über die Ursachen und die Verantwortung über dieses generelle Versagen der Gesellschaft beim Schutz von Kindern geredet werden muss“.

Die Arbeit der Kommission ist nur bis 2019 finanziert

Die Kommissionsmitglieder reden aber erst einmal vor allem darüber, wie ihre Arbeit langfristig fortgesetzt werden kann. Die ist nur bis 2019 finanziert, mit jährlich 1,4 Millionen. 1,2 Millionen davon kommen vom Familienministerium. Andresen machte sehr deutlich, dass keine weiteren Betroffenen angehört werden können, weil dafür Zeit und Geld fehlen. Für Katsch wäre es „skandalös“, wenn man wegen fehlender Mittel nicht alle Betroffenen, die sich äußern möchten, anhören könnte.

Auch Kommissionsmitglied Christine Bergmann forderte die Politik dringend auf, Mittel zur Verfügung zu stellen. Die Ex-Familienministerin bezeichnete zudem die Entschädigungen für Betroffene als völlig unzureichend. Die aktuelle Finanzlage lässt es immerhin zu, dass die Kommission einen gesonderter Bericht zum Missbrauch in der DDR erstellen kann. Der wird im Oktober in Leipzig vorgestellt.

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