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Politik: Zwölf Monate für den Kronzeugen

Der US-Soldat Sivits muss wegen Folter in Haft. Er belastete seine Kameraden, nicht die Vorgesetzten

Ein amerikanisches Militärgericht hat in Bagdad kurzen Prozess gemacht. Nach 81 Minuten Verhandlung wurde der erste US-Soldat wegen Foltervorwürfen im Irak verurteilt. Jeremy Sivits (24) war geständig und muss wegen Pflichtverletzung, Misshandlung von Gefangenen, Verabredung zur Misshandlung und Pflichtversäumnis zwölf Monate ins Gefängnis – die Höchststrafe. Er werde zudem aus der Armee entlassen und auf den Dienstgrad eines Gefreiten degradiert.

Während der Verhandlung sagte Sivits Anwalt, dass sein Mandant mit der Anklagevertretung eine Vereinbarung geschlossen habe, und als Zeuge in den weiteren Verfahren zur Verfügung stehe. Sivits hatte einige der rund 2600 Misshandlungsfotos gemacht.

Das Gericht tagte im Kongresszentrum von Bagdad in dem auch die provisorische US-Zivilverwaltung untergebracht ist. Jeder Besucher wurde bis auf die Unterwäsche durchsucht. Sprengstoffhunde schnüffelten an Schreibstiften. In den Gerichtsaal durften nur ausgesuchte 34 Personen, 30 davon waren Amerikaner. In einem Videoraum daneben durften 25 Journalisten auf zwei Bildschirmen dem Prozess folgen. Bild und Tonaufnahmen waren im ganzen Gebäude verboten. Alles war steril, fremd unwirklich. Der Angeklagte wurde in einem futuristischen grauen gepanzerten Bus zum Hintereingang des Gerichtssaales gebracht. Während der Verhandlung explodierte ein Mörsergeschoss wenige hundert Meter neben dem Kongresszentrum. Sofort stiegen acht „Apache“-Helikopter auf und durchsuchten im Tiefflug das Gelände.

Jeremy Sivits sagte dem Tribunal, es habe keine Anweisung zur Folter von Vorgesetzten im Gefängnis Abu Ghraib gegeben. Alle Beteiligten hätten die Gefangenen nur aus Spaß gequält. Mit dieser Ansicht steht Sivits recht einsam da. Er belastete direkt einige seiner Kameraden. Alle anderen Angeklagten versichern, sie hätten Befehle ausgeführt. Dies dürfte auch der Grund sein, weshalb Sivits als Erster vor Gericht stand. Er wird als Kronzeuge der Anklage gegen weitere Soldaten auftreten. Deren Anwälte sagten aber jetzt schon, sie wollen die verantwortlichen Offiziere, und womöglich Verteidigungsminister Donald Rumsfeld vorladen.

Vor dem Kongresszentrum demonstrierten aufgebrachte Iraker gegen das Verfahren der US-Militärjustiz. Auf ihren Transparenten war zu lesen: „Warum werden die Gefolterten nicht angehört?“ oder „Amerikaner entscheiden über das, was Irakern angetan wurde“. Zu dem Prozess wurden weder irakische noch andere Menschenrechtsgruppen als Zuschauer zugelassen. Eigentlich hatte die Regierung Bush mit dem schnellen Prozess in Bagdad zeigen wollen, dass sie die Folterer schnell bestrafen will. Die Botschaft ist aber offenbar in Bagdad nicht angekommen. Die Menschen sind enttäuscht über das fast nichtöffentliche Verfahren und das milde Urteil.

Erwin Decker[Bagdad]

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