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Die Banken haben geschlossen, das Bargeld wird knapp. Gerd Höhler berichtet, wie das Leben auf Zypern funktioniert.

© dpa

Zypern-Krise: Russland beendet Zypern-Verhandlungen

Russland will Zypern keinen Kredit in Milliardenhöhe gewähren - damit werden die Vorschläge des zyprischen Finanzministers Michalis Sarris aus Moskau abgelehnt.

Russland hat die eigenen Verhandlungen über neue Finanzhilfen für Zypern für gescheitert erklärt. Es gebe kein Interesse an den Vorschlägen des zyprischen Finanzministers Michalis Sarris. Das sagte der russische Finanzminister Anton Siluanow nach mehrtägigen Gesprächen in Moskau am Freitag der Agentur Interfax.

Seit sechs Tagen sind die Banken auf Zypern geschlossen. „Können Sie nicht in bar zahlen?“ - diese Frage hört man deshalb jetzt immer häufiger in Zypern. Die Politiker beraten seit Tagen in einer Krisensitzung nach der anderen über einen Ausweg, der den drohenden Zusammenbruch der Geldinstitute verhindern und einen Staatsbankrott abwenden soll. Ob eine Lösung gefunden werden kann, war am Donnerstag noch ungewiss. Seit das zyprische Parlament am Dienstagabend die von der EU vorgeschlagene Zwangsabgabe auf Bankguthaben mit großer Mehrheit abschmetterte, hat sich die Krise gefährlich verschärft. Auch am Donnerstag und Freitag bleiben die Banken geschlossen. Dahinter steht die Angst, dass es zu einem Ansturm auf die Schalter kommen könnte, wenn die Filialen wieder öffnen, ohne dass zuvor eine politische Lösung gefunden ist und sich die Lage stabilisiert hat. Ein massiver Abfluss von Einlagen könnte die strauchelnden Geldinstitute binnen weniger Stunden in die Knie zwingen, fürchten Finanzexperten. Da am Montag ohnehin ein Feiertag in Zypern ist, werden die Institute frühestens am Dienstag der kommenden Woche öffnen.

Auf Zypern wird nur noch bar gezahlt

Bis dahin versuchen sich die Zyprer irgendwie über die Runden zu retten. „Keine Schecks und Kreditkarten, nur Cash“ - solche selbstgemalten Schilder sieht man jetzt in den Schaufenstern vieler Geschäfte in Nikosia. Bargeld lacht. Auch Hoteliers nehmen Kreditkarten nur noch widerstrebend entgegen. Zwar werden die dem Kunden belasteten Beträge offenbar ordnungsgemäß den Konten der Geschäftsleute gutgeschrieben, weil die elektronischen Buchungssysteme im Hintergrund noch laufen.

„Aber wer weiß, ob ich jemals an das Geld auf meinem Konto herankomme?“, sagt ein Hotelier in der Altstadt von Nikosia. „Ich muss meine Lieferanten bezahlen, nächste Woche werden außerdem die Löhne für das Personal fällig.“ Er versuche deshalb, so viel Bargeld wie möglich vorzuhalten, erklärt der Geschäftsmann. Auch an den Tankstellen hat man mit Banknoten bessere Karten. Die Treibstoffversorgung sei sichergestellt, es gebe keine Engpässe, versichert Stefanos Stefanou, der Präsident des Verbandes der zyprischen Tankstellenpächter. Er appellierte aber an die Autofahrer, möglichst in bar und nicht mit Kreditkarten zu zahlen.

"Retten, was zu retten ist"

Weil die Zahlungssysteme lahmliegen, sind die Im- und Exporte Zyperns weitgehend zum Erliegen gekommen. Noch gibt es zwar weder bei Rohöl noch bei Arzneimitteln oder anderen Importwaren spürbare Engpässe. Die Raffinerie bei Larnaka an der Südküste arbeitet noch normal. Auch sind die Lager der meisten Importeure gefüllt. Aber das könnte sich ändern, wenn der Ausnahmezustand länger andauert oder die Banken gar ganz zusammenbrechen. Schon jetzt fürchten Fachleute, dass die ohnehin im Abschwung befindliche zyprische Wirtschaft durch die Bankenschließung deutlich tiefer in die Rezession rutschen wird. Unabsehbare Folgen fürchtet auch die Tourismusbranche, die neben den Finanzdienstleistungen die zweite wichtige Säule der zyprischen Volkswirtschaft ist: Vor allem russische und britische Reiseveranstalter seien besorgt, berichtet Marios Channidis, Generaldirektor der staatlichen Tourismusbehörde KOT. In britischen Medien kursieren bereits Berichte, wonach Urlaubern auf der Mittelmeerinsel das Bargeld ausgehe. Dass die britische Regierung diese Woche eine Million Euro in einer Militärmaschine nach Zypern fliegen ließ, um ihre dort stationierten 3500 Soldaten mit Bargeld zu versorgen, ließ die Lage noch dramatischer erscheinen.

Noch spucken die Geldautomaten auf Zypern Scheine aus. Aber man muss außer seiner Bankkarte viel Geduld mitbringen. Stehvermögen wird vor allem den Kunden der Laiki Bank abverlangt. Das zweitgrößte Kreditinstitut der Insel ist wegen immenser Verluste beim griechischen Schuldenschnitt und hoher Ausfälle durch faule Kredite in einer besonders prekären Lage. Als am Donnerstagmorgen Gerüchte über einen unmittelbar bevorstehenden Zusammenbruch der Bank oder eine geplante Liquidierung des Instituts die Runde machten, eilten viele Kunden zu den Zweigstellen, um so viel Bargeld wie möglich von den Konten abzuziehen. Vor den beiden Automaten der Bank an der Platia Eleftherias wurde die Schlange der ungeduldig wartenden Menschen immer länger. „Ich will retten, was zu retten ist", sagte verzweifelt eine Hausfrau, die sich unter die Wartenden einreihte. Sie hat knapp 4000 Euro auf ihrem Girokonto, aber mehr als 400 Euro gibt der Geldautomat pro Kunde und Tag nicht heraus.

Die Kunden bleiben aus

Noch werden die Automaten immer wieder aufgefüllt. An vielen Banken fahren die gepanzerten Lieferwagen der Sicherheitsfirmen mehrmals am Tag vor. Das Geld stammt letztlich von der Europäischen Zentralbank (EZB), die bisher grünes Licht für die Vergabe von Liquidität an die zyprischen Geschäftsbanken über die ELA-Nothilfe (Emergency Liquidity Assistance) durch die zyprische Zentralbank gab. Allerdings will die EZB Zypern den Geldhahn am kommenden Montagabend zudrehen, wenn bis dahin kein Hilfskonzept steht. Dieses Ultimatum erhöht nicht nur den Druck auf die Politiker in Nikosia. Es sorgt auch für wachsende Unruhe in der Bevölkerung. Denn die Menschen wissen: Die beiden großen Geldinstitute Zyperns, die Bank of Cyprus und die Laiki Bank, sind praktisch insolvent. Allein in den letzten Tagen vor der Schließung der Banken flossen rund vier Milliarden Euro aus Zypern ab. Die Einlagen der Banken schmolzen dadurch von 68 auf 64 Milliarden zusammen.

Dass immer weniger Geld im Umlauf ist, bekommt auch die Verkäuferin Maria Grigoriou zu spüren. Sie arbeitet in einem Optikerladen wenige Schritte von den belagerten Geldautomaten der Laiki Bank entfernt. Wie viele Kunden hatten sie denn heute schon? Auf diese Frage gibt Maria um zwölf Uhr mittags die entwaffnende Antwort: „Sie sind der erste." Ihr Lächeln weicht allerdings Enttäuschung, als sie erfährt, dass der vermeintliche Kunde nur ein Journalist ist, der sich nach dem Umsatz erkundigen will. „Schlecht gehen die Geschäfte, immer schlechter“, sagt sie. Und wie wird es weitergehen? „Wie soll ich das wissen?“, entgegnet die junge Frau mit ratlosem Schulterzucken, „das wissen ja nicht mal unsere Politiker.“

Im Land ohne Geld blühen dubiose Geschäfte auf

Nicht nur bei der Brillenverkäuferin bleiben die Kunden aus. „Wir hatten am vergangenen Freitag den letzten Interessenten", berichtet ein Gebrauchtwagenhändler an der Limassol-Allee, einer großen Ausfallstraße, die von Nikosia zur Südküste führt. Der junge Mann habe sich einen Wagen angesehen, aber nicht gekauft, teilt der Händler mit. Auch auf dem Immobilienmarkt läuft zurzeit nichts mehr. Im Kaufhaus Debenhams an der Ledra-Straße sind ebenfalls nur wenige Kunden anzutreffen. „Die Menschen kaufen nur noch das Allernötigste“, sagt eine Besucherin.

Um 15 Prozent seien die Umsätze der Supermärkte zurückgegangen, berichtet Verbandssprecher Andreas Chatzipadamou. „Stammkunden lasse ich notfalls anschreiben“, sagt ein Lebensmittelhändler nahe der alten Stadtmauer von Nikosia. Denn trotz noch funktionierender Geldautomaten geht vielen Menschen das Geld aus. Schließlich haben nicht alle Zyprer eine Plastikkarte, die ihnen Zugriff auf ihr Konto erlaubt. Vor allem viele Rentner verfügen nur über traditionelle Sparbücher. Nachbarn und Verwandte helfen sich mit Bargeld zwar noch bereitwillig aus. Es beginnen im Land ohne Banken allerdings auch dubiose Geschäfte aufzublühen.

Nicht nur die Pfandleiher profitieren von der Notlage vieler Menschen, die nun Schmuck und andere Wertgegenstände versetzen, um an etwas Bargeld zu kommen. Auch Finanzhaie gehen auf Jagd: Als sie gestern nachsehen wollte, ob ihre Bankfiliale nicht vielleicht doch geöffnet habe, sei sie dort von einem Unbekannten angesprochen worden, berichtete eine Frau im zyprischen Radio. Der Mann habe ihr ein Bündel Banknoten gezeigt und einen „Barkredit“ über 2000 Euro angeboten, für einen Tageszins von drei Prozent, erzählte die Anruferin empört. Als „Sicherheit“ habe der Mann ihre Autoschlüssel verlangt. Die Frau lehnte dankend ab.

„Bald gehen hier die Lichter aus“, sagt einer der Bankkunden, der zum Glück nicht auf die Dienste zwielichtiger Geldgeber angewiesen ist sondern an einem Geldautomaten der Hellenic Bank am Donnerstagmittag noch 400 Euro ergatterte. Die düstere Prognose wird sich hoffentlich nicht wörtlich bewahrheiten. Weil es keine Überweisungen gibt und auch Daueraufträge nicht ausgeführt werden, können jetzt viele Zyprer ihre Stromrechnungen nicht bezahlen. Immerhin teilte die staatliche Elektrizitätsgesellschaft am Donnerstag mit, dass sie bis auf weiteres auch säumigen Zahlern nicht den Strom abdrehen wird. (mit dpa)

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