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Sieht spektakulär aus, ist aber Routine: Polizisten nehmen einen Unfall im Landkreis Prignitz auf.

© Steyer

Polizeireform: Ruhe im Revier

Kaum ein anderes Thema regt die Brandenburger derzeit so auf wie die angekündigte Polizeireform. Viele Einwohner befürchten längeres Warten auf die Polizei und eine schlechtere Erreichbarkeit der Beamten. Wir haben eine Schicht auf der Polizeiwache Wittenberge im Landkreis Prignitz begleitet.

Die Wache in der Perleberger Straße der Elbestadt stammt aus besseren Brandenburger Zeiten. Ende der neunziger Jahre, als die Fördermittel noch reichlich flossen, entstand ein verklinkerter Trutzbau, der jeder Großstadt gut zu Gesicht stände. Vor 20 Jahren galt Wittenberge mit Nähmaschinenwerk, Ölmühle und Zellstofffabrik und 36 000 Einwohnern noch als lebendige Stadt. Heute stehen alle Bänder still, und nur noch knapp 20 000 Menschen leben hier. Die Polizeiwache wirkt völlig überdimensioniert. 38 Beamte, davon acht Kriminalpolizisten, verlieren sich fast in dem Haus.

Bei der Übergabe von der Früh- zur Tagschicht kurz vor 13 Uhr fällt der hohe Altersdurchschnitt der Kollegen in Uniform auf. „Alles Ü 50“, bestätigt einer aus der Runde. Nur eine Praktikantin sticht zwischen den ergrauten Männern heraus. Außer einem gemeldeten Diebstahl der Kennzeichen eines Transporters ist vormittags nichts vorgefallen.

Die Hauptmeister Lothar Heuer und Rainer Mattig steigen in den Dienstwagen. Sie teilen sich heute mit zwei anderen Kollegen das rund 80 mal 25 Kilometer große Revier zwischen der Grenze zu Mecklenburg bei Dömitz und kurz vor Havelberg, das schon zu Sachsen-Anhalt gehört. Ein Beamter sitzt vor dem Bildschirm in der Wache und hält Kontakt mit dem Polizeipräsidium in Potsdam und den Streifenwagen. Die Funkgeräte funktionieren so schlecht, dass viele Einsatzbefehle per Handy durchgegeben werden. Der lange versprochene digitale Funk lässt auf sich warten.

Auch in der ersten Stunde ist nicht viel los. „Wir könnten mal die Laserpistole herausholen“, schlägt Lothar Heuer bei der Kontrollfahrt durch die meist leeren Straßen von Wittenberge vor. „Aber bei diesem Regen können wir die Technik vergessen.“ Dann erreicht eine Bitte von einem Betriebsgelände die Funkstreife. Man möge bitte vorbeikommen, ein Lkw habe eine Laterne umgefahren. Doch ehe sich die beiden Beamten richtig im Büro des Geschäftsführers hinsetzen können, müssen sie schnurstracks wieder aufbrechen. „Verkehrsunfall mit Personenschaden in der Lenzener Chaussee, Höhe Tankstelle – Auto liegt auf dem Dach“, lautete die Nachricht aus der Zentrale. Im Laufschritt geht’s zum Streifenwagen.

Mit 80 Sachen geht es durch die Straßen. Trotz Sirenengeheul und Blaulicht bleiben viele Autofahrer erst im letzten Augenblick stehen. „Wahrscheinlich lernt heute in der Fahrschule niemand mehr das richtige Verhalten“, schimpft Hauptmeister Mattig. Der Unfall sieht zwar spektakulär aus, aber die Folgen halten sich in Grenzen. Die beiden jungen Frauen konnten selbst aus dem umgestürzten Renault klettern und zogen sich dabei leichte Schnittwunden zu. Für die beiden Polizisten beginnt die Routine: Rettungswagen einweisen, Straße halbseitig sperren und den dichten Nachmittagsverkehr abwechselnd passieren lassen, Personalien des Unfallverursachers, der Opfer und von Zeugen notieren sowie den Unfallbericht verfassen. Zum Glück erscheint die zweite Streifenbesatzung und hilft bei der Verkehrsregelung.

Da sich die beiden Frauen in ärztlicher Obhut befinden, gilt die Aufmerksamkeit vor allem dem etwas abseits stehenden älteren Herrn. Er hat mit seinem Skoda dem Renault die Vorfahrt genommen und wirkt leicht benommen. Doch die Erfahrung sagt den Polizisten, dass der Mann durchaus allein nach Hause fahren kann. Es vergehen 90 Minuten, ehe die Straße wieder freigegeben werden kann.

Auf der Wache geht der Schreibkram weiter. Mindestens eine Stunde sitzen die beiden Beamten vor dem Computer und mühen sich um die genauen Angaben und die Zeichnung. „Wenn es unsere Wache nicht mehr geben würde, müssten die Kollegen aus Perleberg oder Pritzwalk den Unfall übernehmen“, sagt Polizeihauptmeister Mattig. „Das würde viel zu lange dauern.“ Endlich bleibt Zeit für die Pause mit Bockwurst, Schrippe, Kaffee.

Die folgenden Einsätze sind typisch für eine Kleinstadt. Eine Frau beklagt den Diebstahl des Vorderrades ihres Fahrrades aus einem Hausflur, während ein Bürger ein seit drei Tagen vor einem Geschäft stehendes Damenfahrrad meldet. Die Polizei fährt hin, notiert den Fall. In der Zwischenzeit hatte eine Frau schon in der Wache angerufen und sich als Eigentümerin des Rades gemeldet. Ihr war vom Fenster aus der Polizeieinsatz aufgefallen.

Auf der Rückfahrt hält ein älterer Bürger die Polizisten an. „Bei meinem Kontrollgang durch die Stadt habe ich an der Bürger-/Ecke Bäckerstraße einen grauen Opel ohne Kennzeichen gesehen. Fahrt doch mal vorbei.“ Die Polizisten finden nichts. „Die Menschen kennen, vertrauen uns“, sagen die Beamten.

Die sonst so häufige abendliche Ruhestörung durch Betrunkene bleibt diesmal aus. Die fünf Polizisten übergeben an die Nachtschicht.

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