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Brandenburg: Rechte Gewalt: "Ich habe nichts mehr zu verlieren"

Irgendwann hat Horst Leyer es nicht mehr ausgehalten. Hat zum Telefon gegriffen und in Birmingham angerufen.

Von Sandra Dassler

Irgendwann hat Horst Leyer es nicht mehr ausgehalten. Hat zum Telefon gegriffen und in Birmingham angerufen. Dass er den gewünschten Gesprächspartner in England sofort erreichte, hat ihn nicht verwundert - schließlich ist dessen Bewegungsfreiheit seit fünf Jahren stark eingeschränkt.

Damals - am 16. Juni 1996 - endete das erste, das normale Leben des dunkelhäutigen britischen Bauarbeiters Noel Martin an einem Baum im Landkreis Teltow-Fläming. Im nahe gelegenen Mahlow waren er und zwei Landsleute kurz vorher von rechtsradikalen Jugendlichen angepöbelt worden. Als die Briten mit Noel Martins Auto davonfuhren, wurden sie von zwei jungen Männern verfolgt, die schließlich einen schweren Feldstein gegen den Wagen schleuderten. Noel Martin verlor die Kontrolle über sein Fahrzeug und prallte gegen einen Baum. Während seine Landsleute mit leichten Verletzungen davonkamen, ist Noel Martin seither querschnittsgelähmt - ein Pflegefall.

Horst Leyer hat das Schicksal des Briten schon erschüttert, bevor er aus Berlin nach Mahlow zog. Der Anruf bestärkte ihn darin, etwas gegen Fremdenhass und Gewalt in Brandenburg zu tun: "Noel Martin hat mich sehr beeindruckt. Er ist intelligent, er weiß, dass Gewalt gegen Fremde ein weltweites Problem ist und er hat trotz seines furchtbaren persönlichen Schicksals noch die Kraft, gegen diese Gewalt aufzubegehren."

Auch Horst Leyer wollte es nicht hinnehmen, dass es in seinem neuen Heimatort Mahlow immer wieder zu fremdenfeindlichen Übergriffen kam - nicht so brutal wie im Juni 1996, oftmals "nur" verbal, aber eben immer wieder. Im vergangenen Jahr hat sich Horst Leyer deshalb mit anderen Einwohnern zur Arbeitsgemeinschaft "Tolerantes Mahlow" zusammengeschlossen. In verschiedenen Themengruppen beschäftigen sich die Mitglieder mit dem Phänomen der Fremdenfeindlichkeit, diskutieren und arbeiten mit Jugendlichen, unterstützen Streitschlichter-Projekte an Schulen, organisieren internationale Begegnungen.

Als Noel Martin im Herbst vergangenen Jahres den Wunsch äußerte, zum Ort des rassistischen Überfalls zurückzukehren, unterstützte die Arbeitsgemeinschaft "Tolerantes Mahlow" die Vorbereitungen für den Besuch. Das Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit und die Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg, Almuth Berger, hatten Noel Martin eingeladen, auch der Mahlower Bürgermeister schloss sich an.

Am heutigen Donnerstag trifft der 40-Jährige in Berlin ein, am Freitag wird ihn Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe empfangen und am Sonnabend kehrt Noel Martin dann nach Mahlow zurück. Viele Mahlower, aber auch Menschen aus den umliegenden Gemeinden werden ihn mit einer Sterndemonstration begleiten. Der ORB überträgt die Kundgebung, ein ökumenischer Gottesdienst und eine Rock & Pop Open-Air-Veranstaltung unter dem Motto "Für Toleranz, gegen Fremdenfeindlichkeit und rechte Gewalt" schließen sich an.

Dass nicht alle Einwohner von der Aktion begeistert sind, bekamen die Mitglieder des Arbeitskreises "Tolerantes Mahlow" bereits zu spüren. "Letztes Wochenende waren unsere Klebeteams unterwegs, um die Plakate für die Veranstaltung anzubringen", erzählt Horst Leyer: "Am Sonntagmorgen rief eine Ärztin, die bei uns mitarbeitet an, und erzählte, dass alle Plakate abgerissen wurden. Wir haben dann neu geklebt, und nun findet man in Mahlow sowohl intakte als auch abgerissene und halb zerrissene Plakate." Ein Zustand, findet Horst Leyer, der irgendwie symbolisch für Mahlow ist: "Bis zur Wende war das ein Ort am Ende der Welt, die Einwohner blieben unter sich. Seit 1990 strömte viel Neues auf die Leute ein - das hat viele verunsichert."

Auch Mahlows Bürgermeister Werner la Haine wirbt für Verständnis für sein Dorf: "Wir sind in den vergangenen zehn Jahren von 4500 auf mehr als 9000 Einwohner angewachsen, das bringt natürlich Probleme mit sich. Aber niemand sieht, was wir mit unseren begrenzten Mitteln erreicht haben: die neue Turnhalle, die Schule, die Unterstützung für das Schülercafé oder das Jugendhaus Oase. Seit 1996 reden und schreiben alle immer nur vom rechten Mahlow."

"Das ist die typische Situation eines Ortes, der durch einen solch schwerwiegenden Vorfall stigmatisiert wird", sagt Gisela Rüsz, die Geschäftsstellenleiterin des Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit: "Viele können damit nicht umgehen, es tut weh, immer wieder mit dem Geschehen konfrontiert zu werden. Aber am meisten weh tut es natürlich dem Opfer selbst ..."

Ob die Begegnung der Mahlower mit Noel Martin zu mehr Sensibilität und zu mehr Entschlossenheit im Kampf gegen rechte Gewalttäter führt, können die Organisatoren der Reise nur hoffen. Der Brite selbst sagte unlängst in einem Interview: "Ich habe nichts mehr zu verlieren." Im vergangenen Jahr starb seine Lebensgefährtin, die den vom Nacken abwärts Gelähmten aufopferungsvoll pflegte, an Krebs. Einen Lebenssinn sieht Noel Martin im Engagement gegen rassistische Vorurteile, unter denen schon sein Großvater litt, und die - das betont der Brite immer - nicht nur in Mahlow, nicht nur in Brandenburg, nicht nur in Deutschland vorkommen.

Und doch wird es den Mann im Rollstuhl viel Kraft kosten, wenn er beispielsweise am kommenden Dienstag mit Kindern der Astrid-Lindgren-Schule einige Bäume pflanzt. Am Glasower Damm, ganz in der Nähe jener Stelle, an der vor fünf Jahren, am 16. Juni 1996, sein erstes Leben endete.

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