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Brandenburg: Rechte Gewalt: Zweifel an Zahlen: Weit mehr rechte Straftaten als gemeldet

Täuscht das Brandenburger Innenministerium die Öffentlichkeit? Die am Mittwoch von Staatssekretär Eike Lancelle in Potsdam verkündeten Zahlen zur rechten Kriminalität entsprechen offenkundig nicht der Realität.

Von Frank Jansen

Täuscht das Brandenburger Innenministerium die Öffentlichkeit? Die am Mittwoch von Staatssekretär Eike Lancelle in Potsdam verkündeten Zahlen zur rechten Kriminalität entsprechen offenkundig nicht der Realität. Statt der bekannt gegebenen 195 Straftaten, die im ersten Halbjahr verübt worden sein sollen, sind nach Informationen des Tagesspiegels bereits rund 700 Delikte registriert worden. Die hohe Zahl ist vor allem auf eine verbesserte Erfassung von Propagandadelikten zurückzuführen. Diese haben damit in der Gesamtstatistik deutlich zugenommen - Lancelle verkündete aber einen Rückgang gegenüber dem ersten Halbjahr 2000 von 65 auf lediglich 59. Unverständlich ist auch die jetzt genannte Zahl der in den Straftaten enthaltenen Gewaltdelikte. Das Innenministerium hatte am 5. Juli für die ersten sechs Monate 43 einschlägige Taten gemeldet, Lancelle sprach am Mittwoch nur von 26. Auf Anfragen reagierte das Innenministerium gestern ausweichend - "wir bemühen uns um eine Klarstellung", sagte Sprecher Heiko Homburg.

Er betonte, Staatssekretär Lancelle habe sich bei der Gesamtzahl von 195 rechten Straftaten auf die alte Zählweise der Polizei bezogen. Diese war an einen engen Extremismusbegriff gebunden, demzufolge eine Straftat nur dann als "rechts" anerkannt werden konnte, wenn sich ein Angriff auf die freiheitlich demokratische Grundordung erkennen ließ. Viele Attacken von Neonazis und Skinheads, beispielsweise auf Obdachlose, fielen durch dieses Raster. Die Innenminister des Bundes und der Länder - unter Beteiligung Brandenburgs - haben deshalb die alte Zählweise auf ihrer Konferenz Anfang Mai in Schierke (Sachsen-Anhalt) durch eine neue ersetzt.

Unter dem weiter gefassten Begriff "politisch motivierte Kriminalität" können nun deutlich mehr Straftaten den Umtrieben der rechten Szene zugeordnet werden. Damit ergibt sich nach Auffassung vieler Sicherheitsexperten erst ein realistisches Bild der Dimension, die rechtsextremistische, fremdenfeindliche und antisemitische Kriminalität in Deutschland angenommen hat.

Warum Lancelle trotz der Entscheidung aller Innenminister zwei Monate später immer noch Statistiken nach der alten, überholten Zählweise präsentiert, bleibt unklar. Zumal Brandenburg bereits vor der Konferenz der Innenminister auch die neue Zählweise angewandt hat. Demnach war schon von Anfang Januar bis Ende März eine Zahl von etwa 400 rechten Straftaten registriert worden - mehr als im ganzen Jahr zuvor. Diese Zahl, die der Tagesspiegel Anfang Mai veröffentlichte, hat das Innenministerium auch bestätigt. Den nun von Lancelle demonstrierten Rückgriff auf die alte Zählweise kommentierte Sprecher Homburg mit den Worten, bislang habe kein Bundesland eine Statistik zu rechten Straftaten nach dem neuen Erfassungskriterium vorgelegt.

Dies aber hat das Innenministerium am 5. Juli bei den Gewalttaten-Zahlen gemacht. Damals hieß es, nach der neuen Zählweise seien 43 derartige Delikte im ersten Halbjahr festgestellt worden - jetzt sprach Lancelle nur von 26. Das Ministerium präsentierte Anfang Juli sogar einen statistischen Vergleich mit der alten Zählweise. Aber auch dann wären von Januar bis Ende Juni immer noch deutlich mehr Gewalttaten als die von Lancelle genannten 26 verübt worden: Insgesamt 39, genau 50 Prozent mehr.

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