zum Hauptinhalt
291505_0_37181bc9.jpg

© dpa

Rechtsradikale Musik: Ermittlungsarbeit mit den Ohren

Sie nennen sich "Jungsturm", "Landser" oder "Terrorkorps": Aus Brandenburg kommt jeder zweite Indizierungsantrag gegen rechtsradikale Musik und Bands. Aus dem Tag eines Kriminalkommissars.

Er muss sich einiges anhören. Rund tausend CDs und Videos mit rechtsextremistischer Musik tut Kriminalkommissar Björn K. jedes Jahr seinen Ohren an. In seinem kleinen Büro im Landeskriminalamt Eberswalde stapeln sich unzählige CD-Hüllen. Von hier aus sorgt der 31-Jährige Staatsschützer dafür, dass mehr als die Hälfe der Indizierungsanträge an die Bundesprüfstelle gegen Hassmusik aus Brandenburg kommen. Kein anderes Bundesland ist dabei so erfolgreich.

Die meisten CDs, die bei Björn K. landen, sind schwarzgebrannt und ohne Cover – und das bedeutet viel Arbeit. Neben CDs schicken ihm Polizei-Dienststellen und die Präsidien in Potsdam und Frankfurt/Oder auch andere Tonträger wie Schallplatten, die bei Durchsuchungen und Kontrollen beschlagnahmt werden.

Zuerst prüft Björn K., ob er die Titel schon kennt oder ob es neues Material ist. In einer zentralen Datei des Bundeskriminalamtes (BKA) gleicht er ab, was seinen Kollegen aus anderen Bundesländern schon zu Ohren kam und was auf dem Index steht. Wird er auf dieser Suche nach Texten, Interpreten und Titeln nicht fündig, muss er jedes Lied einzeln prüfen – und dazu anhören. Er schreibt dann Zeile für Zeile mit, englische Titel muss er auch übersetzen. Immer geht es um die Frage, ob die Texte jugendgefährdend oder strafrechtlich relevant sind. Neue CDs, die noch keiner vor ihm gehört und ausgewertet hat, kosten ihn mindestens einen halben Arbeitstag. Songs mit jugendgefährdendem Inhalt meldet der Staatsschützer an die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Dort wird entschieden, ob eine CD auf dem Index landet und nicht an Jugendliche vertrieben werden darf.

Gegen andere Bands musste K. schon Verfahren einleiten: Sie nennen sich „Jungsturm“, „Landser“, „Kommando Freisler“, „Skrewdriver“, „Stahlgewitter“ oder „Terrorkorps“. In ihren Texten rufen sie auch zu Gewalt gegen Juden, Ausländer und Andersdenkende auf und verherrlichen das NS-Regime. Stellt die Bundesprüfstelle fest, dass ihre Lieder nicht nur jugendgefährdend sind, sondern auch gegen das Strafrecht verstoßen, folgt ein „erweitertes Verbreitungsverbot“ – auch für Erwachsene.

Erst seit 2003 kann das LKA die Indizierung direkt bei der Bundesprüfstelle anregen, mehr als 300 Mal machte es seither Gebrauch davon. Die Erfolgsquote liegt bei 90 Prozent. Im vergangenen Jahr regte Björn K. die Indizierung von 59 Tonträgern und zwei DVDs wegen rechtsextremistischer und gewaltverherrlichender Inhalte an. In bisher 50 Fällen folgte die Bundesprüfstelle dem Ermittler, einige sind noch nicht entschieden.

Aber nicht alles, was rassistisch, aggressiv und voller Hass ist, muss gleich rechtsextremistisch und verboten sein. K. hat sich zum Fachmann für die Trends rechtsradikaler Musik entwickelt, er sagt: „Früher, da haben die Bands mit Tabubrüchen begonnen und den Grundstein für ihre Nachfolger gelegt.“ Nun greife die rechtsextremistische Musikszene auf verschiedene Stile zurück, es sei nicht mehr nur laute Krachmusik, bei der man kaum Melodie und Text verstehen kann.

„Inzwischen gibt es professionell produzierte Balladen, Schmusemusik, Liedermacher, Ska und sogar Hip-Hop, also eigentlich schwarze Musik.“ Das macht die Arbeit nicht leichter. „Sie singen jetzt nicht mehr verbotene Zeilen, sondern knapp dran vorbei. Das Publikum weiß trotzdem, was gemeint ist.“ Besonders bei Hip-Hop-Bands gehört der Tabubruch dazu – sie spielen mit den Neonazi-Klischees, ohne dass sie explizit rechtsextremistisch sein müssen.

Um die Wirkung solcher Musik weiß Björn K. genau, besonders bei Jugendlichen: „Musik sagt mehr als 1000 Worte.“ Eltern und Lehrer sollten deshalb genauer hinhören, viele wüssten überhaupt nicht, welche Musik die Jugendlichen hören.

Auch Dirk Wilking, Geschäftsführer des Instituts für Gemeinwesenberatung demos in Potsdam, sagt: „Musik ist die Einstiegsdroge in den Rechtsextremismus.“ Sie ermögliche einen leichten Zugang zur Szene und habe einen „relativ unverbindlichen“ Charakter. Durch die Musik ergäben sich Kontakte zu einschlägigen Szenen, aus denen wiederum rechtsextreme Parteien ihren Nachwuchs rekrutierten.

Wenn Björn K. nach Dienstende seine Bürotür abschließt, hat es sich mit Musik bis zum nächsten Arbeitstag erledigt – keine Konzerte, keine eigene CD im Wagen. Und daheim bestimmt seine Frau die Melodie.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false