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Brandenburg: Retrospektive in Cottbus: Grübelnde Männer, erschöpfte Frauen

Das Bild wollte zu DDR-Zeiten keine Zeitung drucken, dabei zeigte es ein freudiges Ereignis. Ein festlich gekleidetes Brautpaar kommt nach Hause, Nachbarn gucken aus den Fenstern.

Das Bild wollte zu DDR-Zeiten keine Zeitung drucken, dabei zeigte es ein freudiges Ereignis. Ein festlich gekleidetes Brautpaar kommt nach Hause, Nachbarn gucken aus den Fenstern. Ursula Arnold hat es 1956 in Leipzig aufgenommen und zeigt die blanke Realität. Das war zu viel: Denn die frisch gebackenen Eheleute kehren in ein Heim zurück, das sich im miserablen Zustand befindet. Der Putz bröckelt, die Wände haben viele Risse. So wie das System. Deshalb galten solche Bilder als systemkritisch. Nach der Formalismus-Debatte waren Fotografien gefordert, die ein "realistisches Bild" vom Leben im Sozialismus und damit Menschen voller Optimismus, Lebensmut und Zukunftszuversicht zeigen sollten. Das war Ursula Arnolds Sache nicht.

Die in Gera geborene studierte von 1950 bis 1955 Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und gab schon ein Jahr später ihre Arbeit als Bildjournalistin wieder auf. Sie zog die Konsequenz aus der grundsätzlichen Schwierigkeit, ihre subjektive Sicht einzubringen. Deshalb war es ihr viele Jahre nahezu unmöglich, Arbeiten auszustellen oder zu publizieren, auch als sie ab 1965 neben ihrem neuen Beruf als Kamerafrau beim DDR-Fernsehen in Berlin immer wieder fotografierte.

Die heute 71-Jährige wollte sich ihren kritischen Blick auf Realität und Gesellschaft in der DDR bewahren, ließ sich nicht ideologisch vereinnahmen und fotografierte folglich vornehmlich für die Schublade. Wenn ihr eindrucksvolles Werk bislang auch weitgehend dem Blick der Öffentlichkeit entzogen war, zählt Ursula Arnold neben Evelyn Richter und Arno Fischer dennoch zu den wichtigsten ostdeutschen Fotografen der älteren Generation. In den Brandenburgischen Kunstsammlungen Cottbus wird mit einer umfassenden Retrospektive, die zuvor auch in Aachen und Berlin zu sehen war, das Oeuvre der Künstlerin gewürdigt.

Was für eine Entdeckung: Eine Serie aus Leipzig zeigt vorübereilende Passanten mit schweren Taschen und gebeugten Rücken, die nie lächeln, sondern meist mürrisch dreinblicken. Vom harten Alltag gezeichnete Gesichter auch in den Bildern, die Arnold in der Berliner S-Bahn aufgenommen hat. Einsame, vor sich hin grübelnde Männer, Frauen mit erschöpfter Miene. Oder Momentaufnahmen einer 1. Maidemonstration, einer lustlosen grauen Menschenmasse, in deren Mitte ein einsamer, traurig dreinschauender Junge mit einem Luftballon in der Hand. Keine Bilder für das "Neue Deutschland".

Ursula Arnolds ungeschönte Bilder stimmen melancholisch. Die schnörkellose Darstellung des schnöden Alltags, die das Individuum, nicht das viel beschworene Kollektiv in den Mittelpunkt rückte, passte nicht ins offizielle Bild der DDR. "Meine Fotos zeigen nicht den positiven kämpferischen Helden. Fotografie sollte propagandistisch wirken, das erschien mir verlogen", erinnert sich Arnold, die meist im Vorbeigehen oder von einem verborgenen Standort aus fotografierte. So schuf sie Bilder von zunächst unscheinbarer, aber bleibender Kraft.

Andreas Hergeth

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