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Brandenburg: Schmerzliche Erinnerung

88 Berliner und Brandenburger kamen vor zehn Jahren bei einer Flugkatastrophe in der Karibik ums Leben

„Die Zeit heilt diese Wunde nicht“, sagt der Berliner Claus Weisner. Die Erinnerung ist wach, und wenn wieder eine Katastrophe auf der Welt passiert, dann wird sie nur noch quälender. Heute bringt sich das Unfassbare erneut grausam in Erinnerung. Vor genau zehn Jahren kamen bei der bislang schwersten Katastrophe der deutschen Flugtouristik vor der Küste der Dominikanischen Republik 189 Menschen ums Leben. Darunter 88 aus Berlin und Brandenburg. Claus Weisners Schwager Ralf und seine Verlobte Katja gehörten dazu.

Die Absturzzeit hat sich den Angehörigen eingeprägt: 23.47 Uhr, Ortszeit Puerto Plata an der Nordküste der Karibikinsel. Dort war das Flugzeug der türkischen Gesellschaft Birgenair gestartet, während des Steilflugs in unkontrolliertes Trudeln gekommen und ins Meer gestürzt. Die Insassen der Boeing 757-225 hatten keine Chance.

Ihre Ferien fanden ein tragisches Ende, während sich in Berlin und Frankfurt am Main – wo die Maschine auch landen sollte – die Angehörigen auf die Wiederkehr der Urlauber freuten. Um 14.10 Uhr war die Ankunft des Flugzeugs in Schönefeld geplant. In den 13-Uhr-Radionachrichten hörten die Weisners von einem Flugzeugabsturz vor der Dominikanischen Republik, und dass die Maschine in Schönefeld hätte landen sollen. Sie rasten zum Flughafen, um Näheres zu erfahren. Um 13.10 Uhr war der Informationsschalter von verzweifelten Angehörigen umdrängt, Flughafenmitarbeiter hatten Mühe, sie durch das Gedränge von weit über hundert Journalisten und Kameraleuten zu lotsen.

Eine Notfallseelsorge wurde eingerichtete, in Schönefeld und Frankfurt außerdem Krisenstäbe, der Reiseveranstalter Öger Tours und das Auswärtige Amt richteten Informationsleitungen ein. Weisners bekamen die Gewissheit, dass ihre Angehörigen auf der Passagierliste standen. Die Unfallopfer stammten aus dem Raum Frankfurt am Main und Berlin-Brandenburg. Von ihnen wurde zehn Tage später bei einer Trauerfeier in der Potsdamer Nicolaikirche Abschied genommen. Seither kommen regelmäßig im Februar viele Angehörige zusammen. Sie treffen sich vor Gedenksteinen, die in Puerto Plata, in Frankfurt am Main und vor der Dorfkirche in Schönefeld stehen – dort wird am kommenden Sonnabend um 11 Uhr offiziell der Opfer der Katastrophe gedacht. Auch Claus Weisner und seine Frau werden dabei sein. Er ist Vorsitzender des Hinterbliebenenvereins „Echo Deutschland“ und kritisiert bis heute den „bürokratischen Umgang“ mit Angehörigen von Katastrophenopfern. Er spricht von den Schwierigkeiten, aus vermeintlichen Datenschutzgründen mit anderen Betroffenen in Kontakt zu kommen. Insgesamt konnten nur 73 Opfer des Flugzeugunglücks identifiziert werden, das letzte im Oktober 2000. Weisners Schwager Ralf ist nie gefunden worden, seine Verlobte Katja konnte in Berlin aber ordentlich begraben werden.

„Die wahren Umstände des Unglücks sind nie rausgekommen“, glaubt Weisner. Das Flugzeug sei seiner Ansicht nach vernünftig gewartet, das Personal gut ausgebildet gewesen. Nach bisherigen Untersuchungen ist im Cockpit irrtümlich eine zu hohe Geschwindigkeit angezeigt worden, dabei war die Maschine zu langsam. So wurde sie noch langsamer. Als die Piloten das merkten, gaben sie volle Schubleistung, eines der Triebwerke „verschluckte“ sich dabei, das Flugzeug kam ins Trudeln und stürzte ab. Außergerichtlich einigten sich Versicherungen, Birgenair und Boeing auf Soforthilfen und Schmerzensgeldzahlungen von rund 40 000 Euro pro Opfer. Von dem Geld, das Menschenleben nicht ersetzen könne, sei wegen der hohen Anwaltskosten kaum etwas übrig geblieben, sagt Weisner. Drei Mal ist er seit dem Unglück nach Puerto Plata geflogen. Die Dominikanische Republik kannte er zuvor nicht. Mit seiner Frau machte er sich auf schmerzliche Spurensuche, wollte ergründen, wie die Angehörigen ihre letzten Stunden verbracht haben könnten. Am Rand des Flughafens von Puerto Plata fand sich auf einer Halde eine letzte Spur vom Schwager: Die große Reisetasche, die er sich für den Urlaub von Claus Weisner ausgeliehen hatte.

Christian van Lessen

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