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Brandenburg: Sie schwieg bis zum Schluss

Landgericht verurteilt die Mutter der toten Babys wegen achtfachen Totschlags zu 15 Jahren Haft

Von Sandra Dassler

Frankfurt (Oder) - Die Staatsanwältin Anette Bargenda freute sich sichtlich, der Verteidiger Matthias Schöneburg schaute etwas betreten. Nur der Frau auf der Anklagebank war keine Regung anzusehen. Dabei hatte sie das Frankfurter Landgericht soeben zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt – wegen Totschlags durch Unterlassen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die 40-jährige Sabine H. zwischen 1992 und 1998 acht ihrer neugeborenen Kinder getötet hat. Getötet, indem sie es unterließ, die Babys nach der Geburt zu versorgen, so dass sie nach wenigen Stunden an Unterkühlung starben.

Eine Stunde lang begründete der Vorsitzende Richter Matthias Fuchs das Urteil. Dabei ging er zuerst auf die, wie er es nannte, „Vorgeschichte“ ein, denn Sabine H. hat nicht acht, sondern neun Kinder auf dem Gewissen. Die erste Tat aus dem Jahr 1988 ist allerdings verjährt: Damals war die gelernte Zahnarzthelferin nach den kurz hintereinander erfolgten Geburten ihrer drei ältesten Kinder wieder schwanger geworden. Weil ihr Ehemann kein weiteres Kind mehr wollte, verschwieg sie die Schwangerschaft und gebar das Kind nachts heimlich auf der Toilette. Bei der polizeilichen Vernehmung hatte Sabine H., die sich bis zum Ende des Prozesses nicht mehr zu den Taten äußerte, ausgesagt, sie sei in Ohnmacht gefallen. Als sie erwachte, habe sie das tot in der Toilette liegende Kind in einem Pflanzgefäß auf dem Balkon vergraben.

„Diese Tat bildete die Grundlage für das weitere Geschehen“, sagte der Richter. Denn von nun an habe Sabine H. immer öfter Alkohol getrunken, um zu verdrängen, was sie getan hatte. 1992 habe sie in Goslar erneut ein Kind geboren. Wieder habe sie den wimmernden Jungen unversorgt gelassen, den kleinen Leichnam dann mit nach Frankfurt (Oder) genommen und ihn ebenfalls auf dem Balkon vergraben. Bis 1998 gebar Sabine H . weitere sieben Kinder. Weil die im Sommer 2005 in Brieskow-Finkenheerd gefundenen neun Babyleichen keine Anzeichen von Gewalteinwirkung aufwiesen, müsse das Gericht von Totschlag durch unterlassene Versorgung ausgehen.

Zweifel daran, dass alle Kinder bereits nach wenigen Stunden starben, obwohl auch unversorgte Neugeborene mehrere Tage lang überleben können, hat das Gericht nicht. Durch den hohen Alkoholkonsum von Sabine H. während der Schwangerschaften und der Geburten sei die Atmung der Neugeborenen möglicherweise so geschwächt gewesen, dass Unterkühlung und Tod sehr schnell eingetreten seien, sagte der Richter.

Das Gericht ist überzeugt, dass alle Kinder lebend zur Welt kamen. Schließlich seien alle im 9. oder 10. Monat geboren worden – mit normaler Größe und normalem Gewicht. Verteidiger Matthias Schöneburg teilt diese Meinung nicht. Er kritisierte auch, dass das Gericht mit keinem Wort auf die Rolle des ehemaligen Ehemanns eingegangen sei, der von den Geburten und Schwangerschaften nichts bemerkt haben will.

Dem Antrag der Anklage auf lebenslange Haft wegen Mordes, folgte die Kammer nicht. Die Staatsanwältin war der Meinung, dass Sabine H. die acht Tötungen von 1992 bis 1998 beging, um die Tat von 1988 zu verdecken. Der Vorsitzende Richter bezeichnete dies als „absurd“. Gleichwohl sah das Gericht keine mildernden Umstände. Die Tötung durch unterlassene Versorgung sei möglicherweise besonders qualvoll für die Neugeborenen gewesen, sagte der Richter. Und der Alkoholrausch könne nicht groß gewesen sein, da Sabine H. die Spuren jedes Mal perfekt beseitigte. Bei der Gesamtstrafe konnte das Gericht nicht über die Höchstgrenze von 15 Jahren hinausgehen, obwohl es für die Tötung von Goslar sechs und für die folgenden sieben Taten je fünf Jahre Haft verhängte.

Viele Einwohner von Frankfurt (Oder) fanden das Urteil eher zu mild: „So eine müsste man lebenslang wegsperren“, sagte eine 68-jährige Frau, die mit ihren fünf Enkeln im Eiscafé saß. Eine junge Friseurin im Südring-Einkaufszentrum hielt es für geradezu makaber, dass das Urteil ausgerechnet am gestrigen Weltkindertag verkündet wurde. Und vor dem nur wenige Hundert Meter entfernten Landgericht saß auch am späten Nachmittag, als die zahlreichen Journalisten und Kamerateams längst weg waren, ein junger Mann mit einem Schild. Darauf hatte er geschrieben: „Babymorde in Brandenburg – das Warum bleibt.“

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