zum Hauptinhalt

Brandenburg: „Sie töten ohne Motiv“

Jugendrichterin Sigrun von Hasseln über die Verrohung Minderjähriger und darüber, was der Staat dagegen tun kann

Zwei 15Jährige ermorden einen Lehrer, ein 17-Jähriger tötet eine Rentnerin, um ihr zehn Euro zu rauben, und Rechtsradikale schlagen auf ein Opfer ein, bis der Baseballschläger zerbricht. Täuscht der – auch von den Medien vermittelte – Eindruck, oder gehen junge Straftäter immer brutaler vor?

Leider täuscht der Eindruck nicht. Wir haben es immer häufiger mit Jugendlichen zu tun, die keinerlei psychische Auffälligkeiten zeigen und unvermittelt schwere Straftaten begehen – zum Beispiel auch Menschen töten.

Und das war früher nicht so?

Nein. Natürlich hat es schon immer Mord und Totschlag gegeben. Aber in der Regel hatten Mörder oder Totschläger ein Motiv. Das rechtfertigte die Taten nicht, konnte sie aber in gewisser Weise erklären. Gerade bei jungen Menschen ging es häufig um Beziehungskisten. Jetzt aber töten sie ohne ersichtlichen Grund. Hemmschwellen scheint es nicht mehr zu geben. Das ist ein Phänomen, auf das die Gesellschaft reagieren muss.

Wie reagiert die Justiz?

Ich bin angesichts dieser Verrohung für eine Verschärfung des Jugendstrafrechts. Stellen Sie sich einmal vor, Robert Steinhäuser, der Attentäter von Erfurt, hätte überlebt und zehn Jahre Jugendstrafe bekommen. Ich bin auch für ein noch differenzierteres Herangehen bei jungen Menschen, die eben in ihrer Entwicklung noch nicht fertig sind. Außerdem sollte der Opferschutz verbessert werden.

Und was ist mit der Ursachenforschung?

Wir holen in unseren Verfahren zusätzliche kriminalsoziologische Gutachten über die betreffenden Täter ein, um zu prüfen, ob auch gesellschaftsbedingte oder sonstige Faktoren im Sinne der Kriminologie als Ursachen herangezogen werden müssen.

Das läuft dann unter „schwere Kindheit“?

Eben nicht. Es soll geprüft werden, welche Faktoren zur Verrohung junger Menschen beitragen. Das müssen wir verfolgen. Sonst fallen wir in die Barbarei zurück oder ziehen eine Generation heran, die nur noch durch einen Polizeistaat gebändigt werden kann. Das wäre das Ende der Demokratie, die davon lebt, dass Menschen freiwillig gewisse Regeln im Umgang miteinander einhalten. Und genau dies muss man jungen Menschen heutzutage offenbar neu vermitteln.

Haben Sie deshalb die Initiative der Jugendrechtshäuser ins Leben gerufen?

Sie hat sich zumindest aus einer solchen Überlegung entwickelt. Ich war damals Richterin im niedersächsischen Oldenburg. Mit einigen Kollegen überlegte ich, wie man jungen Menschen Recht vermitteln könnte. Sie setzen Recht ja oft mit Verboten gleich. Aber Recht hat etwas Positives, es ermöglicht Zusammenleben von Menschen.

Wie sieht das konkret aus?

Jugendrechtshäuser sind Anlaufstellen für junge Leute, aber auch für Eltern und Lehrer, wenn es Fragen oder Probleme gibt. Hier gibt es kostenlose Beratung durch Rechtsanwälte, zum Beispiel, wenn jemand aus einer kriminellen Clique aussteigen möchte. Der Vorteil ist, dass keine Akte angelegt wird, wie das ein Staatsanwalt tun müsste. Hier greift die anwaltliche Schweigepflicht, der junge Mensch kann selbst entscheiden, ob er sich stellt oder mit Opfern in Kontakt tritt. Das halten wir für sehr wichtig.

Wird das Jugendrechtshaus erst aktiv, wenn einer kriminell geworden ist?

Nein, wir setzen auf Prävention. Rechtsanwälte, Richter und Staatsanwälte gehen in Schulen, Ausbildungsbetriebe oder Jugendklubs. Dort klären sie rechtliche Probleme und versuchen, jungen Menschen die rechtlichen Regeln nahe zu bringen.

Wie?

Indem sie beispielsweise Rollenspiele durchführen, in denen der Schwächste in der Klasse mal einen Schläger spielt und einer, der sonst gerne mal zulangt, das Opfer.

Spielen die Eltern immer noch die wichtigste Rolle bei der Erziehung?

Ganz eindeutig – ja. 90 Prozent der Schläger, die vor Gericht stehen, kommen aus Familien, in denen auch geschlagen wurde.

Das Gespräch führte Sandra Dassler.

-

Zur Startseite