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Brandenburg: So weich wie Pudding

Tausende retten den gerissenen Deich bei HohenwutzenVON CLAUS-DIETER STEYER HOHENWUTZEN.Pudding, Käse, Schwamm oder Keks: Der Zustand der seit Tagen höchstem Druck ausgesetzten Oderdeiche trägt viele Beschreibungen.

Tausende retten den gerissenen Deich bei HohenwutzenVON CLAUS-DIETER STEYER HOHENWUTZEN.Pudding, Käse, Schwamm oder Keks: Der Zustand der seit Tagen höchstem Druck ausgesetzten Oderdeiche trägt viele Beschreibungen.Auf jeden Fall trifft auf den rund 70 Kilometer langen Damm von Lebus im Süden bis nach Hohensaaten im Norden eine Charakteristik zu: Er ist weich, sehr weich sogar.An immer mehr Stellen rutscht er deshalb auf der Landseite einfach ab.Das drückende Wasser hätte ein leichtes Spiel, sich seinen Weg in die zwei bis drei Meter tiefer gelegenen Wiesen, Felder und nahen Ortschaften zu bahnen.Dem stemmen sich die Menschen im Oderbruch mit aller verfügbaren Technik entgegen. "Alle Soldaten raus aus der Gefahrenzone.Lebensgefahr.Tempo", tönt es allerdings in den frühen Morgenstunden aus den Funkgeräten der Bundeswehr in Hohenwutzen.Der Damm ist auf 15 Metern gerissen.Pfiffe hallen durch die Nacht."Der Spalt mißt zwar nur Zigarettenschachtelstärke, aber es herrscht wieder einmal höchste Gefahr", berichtet Major Michael Rüss. Er läuft als Presseoffizier im Stundenrhythmus so nahe wie möglich an die Schadenstelle und wieder zurück, um hinterher die sich auf geheimen Wegen ins abgesperrte Hohenwutzen durchgekämpfte Presse zu unterrichten.Der Riß ist am gleichen Ort aufgetreten, an dem schon am vorangegangenen Nachmittag hunderte Soldaten mit Sandsäcken einen Dammbruch verhinderten. Jetzt fliegen wieder Hubschrauber den gefährlichen Knick im Oderverlauf nahe des Grenzübergangs an."Punktgenau", wie der Major bestätigt, würden die jeweils 5,5 Tonnen schweren Netze ausgeklinkt.Bis zum Nachmittag liegen auf dem 100 Meter langen Deichabschnitt etwa 300 000 Sandsäcke.Erst als nach etwa zwei Stunden eine gewisse Stabilität erreicht ist, werden die Soldaten wieder nach vorn geschickt.Sie richten die Säcke, legen Schichten aus Folie und schaufeln riesige Mengen Sand.36 Stunden sind die Marinesoldaten aus Eckernförde im Einsatz.Dann werden sie abgelöst - für vier Stunden dürfen sie in die Betten.Dann heißt es wieder "alle Mann an den Deich". Die Armee hat inzwischen neue Straßen zum Deich angelegt.Auf ihnen rollen die schweren Transporter mit Sand und Kies.Hinter dem jetzt so brüchigem Damm wird ein neues Bauwerk angelegt."Das ins Rutschen gekommene Dreieck des Dammes muß wieder stehen", erklärt Deichexperte Hans-Peter Trömel.Doch alles sei Theorie.Niemand könne eine Garantie für die Sicherheit geben.Zu allem Unglück regnet es zeitweise in Strömen. Der kleine Grenzort Hohenwutzen, der bisher höchstens durch Rundfunkmeldungen über Stauzeiten bekannt ist, gleicht unterdessen einem aufgeschreckten Bienenschwarm.Endlos fahren große und kleine Kipper entweder zum Deich oder auf den großen Platz zum Abfüllen der Sandsäcke.Bundeswehr, Polizei und Bundesgrenzschutz bringen unentwegt neues Personal heran.Auch mit der bisher eher beschaulichen Ruhe in den beiden Kneipen ist es längst vorbei.In den Gasthof von Klaus Karbe gelangen die Gäste nur noch über eine hohe Sandsackbarriere.Drinnen sitzen verschwitzte Frauen und Männer jeden Alters: Feuerwehrleute, Soldaten, Einwohner.Sie sind geschafft vom mehr als zwölfstündigem Einsatz im Wettlauf gegen die Zeit. Kurz vor Mitternacht muß der Wirt Klaus Karbe die Arme heben.Die Küche habe sämtliche Reserven aufgebraucht."Speisen gibt es erst am nächsten Morgen wieder.Nur Freiberger Bier ist noch genügend da", ruft er in die Runde.Am Nachmittag hatte es sogar so ausgesehen, als ob die Gaststätte gar nicht öffnen könnte.Polizei ordnete die Evakuierung an.Erst nach längerer Diskussion konnte Karbe dennoch die Tür aufschließen, um die vielen Helfer zu versorgen.Im großen Vereinszimmer liegen Matratzen und Decken für Journalisten aus allen Gegenden. Hubschrauber fliegen die ganze Nacht."Solange die noch Sand heranbringen, ist das Oderbruch nicht verloren", sagt die Pensionswirtin Ilona Schure kurz nach Mitternacht.In ihrem Garten steht das Oderwasser schon.Das Haus sei durch die Hügellage nicht gefährdet.Sie hat wenig Zeit zum Erzählen."Morgen früh um vier muß ich wieder auf dem Sandplatz sein.Wir müssen das Wasser einfach besiegen."

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