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Gründungsvater und Landesvater. Zum ersten Mal seit seinem Rücktritt 2002 hielt Manfred Stolpe, hier mit Ministerpräsident Matthias Platzeck (re.), eine große Parteitagsrede. Sie war zugleich sein politisches Testament. Foto: Settnik/dpa

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SPD: Stolpes Vermächtnis

Auf dem SPD-Parteitag kämpft Brandenburgs Gründungsvater um sein Lebenswerk

Velten - Nein, „keine Interviews“, und schon gar keine Stellungnahme zur Bundespräsidenten-Kandidatur von Joachim Gauck, dessen Stasi-Bescheid ihn beinahe das Amt gekostet hätte. Manfred Stolpe, einst Brandenburgs SPD-Regierungschef, Bundesminister a. D., 75 Jahre alt, an Krebs erkrankt, bittet freundlich um Verständnis. „Ich stehe unter strengster ärztlicher Beobachtung. Auch von diesem Auftritt haben die Ärzte mir eigentlich abgeraten.“ Aber das kam nicht infrage, obwohl er noch vor zwei Wochen im Krankenhaus lag. Nicht, wenn er sein Lebenswerk verteidigen muss. Es geht um die von ihm geprägte Gründungsära des Landes, über die seit Rot-Rot heftig gestritten wird, die eine von der Opposition erzwungene Enquete-Kommission des Landtages auf Versäumnisse untersucht.

Deshalb wollte es Manfred Stolpe, der sich mal einen preußischen Dickschädel nannte, noch einmal wissen. Und so hat er am Sonnabend auf dem SPD-Landesparteitag in Velten das gesagt, was ihm „das Wichtigste ist“. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, als er vorn am Mikrofon seine erste große Parteirede seit dem Rücktritt 2002 hielt. Es war zugleich sein politisches Testament. Und er wurde danach mit minutenlangen stehenden Ovationen gefeiert, mancher hatte Tränen in den Augen.

Da war er noch einmal, ganz der Brückenbauer, der Versöhner. Er, der Ministerpräsident von 1990 bis 2002, erinnerte eindringlich an die Anfangsjahre nach dem „schockartigen Totalumbruch“ 1989/90, in denen Brandenburg „ein vergessenes Land“ war ohne Identität, an die Versuche, wenigstens ein paar Industriekerne zu sichern. „Ich habe bitter lernen müssen, dass selbst äußerster politischer Wille nicht ausreicht, Unternehmen zu halten“. Man habe „keine schnellen Siege“ errungen, aber vielleicht den Grundstein gelegt, dass sich heute, anno 2010, die Arbeitslosigkeit in Brandenburg der 10-Prozent-Marke nähert. Sein Weg, sein Stil, die Ampel-Regierung, das konstruktive Mitwirken der Opposition, sei als „Konsensdemokratie“ verspottet worden, sagte Stolpe. „Aber mir war das wichtiger als eine Konfrontationsdemokratie mit parteipolitischer Rechthaberei und Vernachlässigung von Landesinteressen.“ Er ging auch auf den damaligen Umgang mit der SED-Diktatur ein, die Brandenburg den Ruf der „kleinen DDR“ und Vorwürfe eines „Kartells des Schweigens“ einbrachten. Ahndung von Unrecht, aber „keine Rachefeldzüge“, „Wahrheit und Versöhnung“, dies sei die Maxime, das Gebot von „Rechtsstaat und Menschlichkeit“ gewesen, antwortete Stolpe. Diesen Weg habe ihm der südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu nahegelegt. Es habe in der DDR „nicht nur Täter und Opfer“ gegeben, sondern „in der überwältigenden Mehrheit vielfache Versuche, im falschen System ein anständiges Leben zu führen.“ Er würdigte Oppositionelle, die mutiger gewesen seien als er, und fügte doch hinzu: „Vergessen wir nicht Polizisten, Soldaten, Grenzbeamte, Parteisekretäre, von denen viele Anteil daran hatten, dass nicht geschossen wurde.“

Die SPD ist, was nicht immer so war, mit diesem Stolpe im Reinen, wie Matthias Platzeck deutlich machte, der selbst als Parteichef mit einem 93-Prozent-Ergebnis bestätigt wurde. Die „historische Leistung“ als „Gründungsvater Brandenburgs“ werde „vor der Geschichte Bestand“ haben, doch sprach Platzeck auch offen „Irrwege“ an. Nach der „absurden“ Auseinandersetzung um Stolpes StasiKontakte sei man zur Aufarbeitung „generell auf Abstand“ gegangen, weshalb es keine Stasi-Überprüfung und keinen Stasi-Beauftragten gab. „Aus diesen Fehlern lernen wir!“ Dann spannte Platzeck einen direkten Bogen von Stolpe zu den Stasi-Debatten um Rot-Rot – und nahm die Opposition ins Visier. „Schon wieder wird vermeintliche Aufarbeitung instrumentalisiert, um kurzfristige politische Knalleffekte zu erzielen.“ Jenseits der Rückschau auf die Gründungszeit formulierte Platzeck einen neuen Anspruch für Brandenburg: „Dieses Land ist jetzt reif für die 1. Liga!“ Und, „mein lieber Stanislaw Tillich in Sachsen: Wir bleiben besser als ihr.“ Da nickte Stolpe.

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