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Sport: 0:0 – und keine Erklärung

Hertha BSC kann im Hinspiel des Uefa-Cups die Polen aus Grodzisk nicht besiegen, nun droht das frühe Aus

Berlin. Manchmal kann ein kurzer Weg ganz schön lang sein. Huub Stevens ging ihn gestern Abend nach dem Schlusspfiff, von der Trainerbank bis in die Katakomben des Olympiastadions. Und über ihn ergoss sich die ganze Wut der Fans. „Stevens raus“ riefen sie, auch „Wir hab’n die Schnauze voll“. Herthas Trainer kennt diese Missfallenskundgebungen schon, gestern schienen sie ihn besonders zu treffen. Da glaubte er, nach sechs sieglosen Spielen in der Fußball-Bundesliga und dem leichten Aufwärtstrend zuletzt in Bochum nun endlich in dieser bislang so freudlosen Saison einen Sieg bejubeln zu können – und dann dieses Desaster. Gegen die Nobodys von Groclin Grodzisk war ein Erfolg fest eingeplant, stattdessen gab es ein blamables 0:0. Ein Unentschieden, das für das Rückspiel am 15. Oktober Böses ahnen lässt, vielleicht schon das Aus in der ersten Runde des Uefa-Pokals.

Dick van Burik, der vorzeitig mit einer Wadenverletzung ausschied, sagte nach 90 trostlosen Minuten: „Ich kann die Fans verstehen. Es war heute von vorn bis hinten schlecht.“ Recht hatte der Mannschaftskapitän. Was er und sein Team den vielleicht 12000 Zuschauern, unter ihnen rund 400 Fans aus Polen, boten, war eine Zumutung. Das erkannten auch Stevens und Manager Dieter Hoeneß. Stevens warf den Spielern in ungewohnter Härte Undiszipliniertheit, fehlenden Mut und mangelnde Aggressivität vor. Hoeneß will nun gar den einen oder anderen rausschmeißen (siehe Interview), womit er allerdings in die Kompetenz des Trainers eingreifen würde. Beide sind offenbar mit ihrer Geduld am Ende, wissen, dass die Mannschaft den Bogen spätestens seit gestern überspannt hat.

Nicht, dass die Herthaner nicht eifrig waren. Doch das ist das Mindeste, was man von einem hoch bezahlten Profi erwarten muss. Wie sie sich vom polnischen Vizemeister immer mehr den Schneid abkaufen ließen, wie sie immer unsicherer wurden und selbst die einfachsten Fußballdinge nicht mehr konnten, das erweckte zu Recht den Zorn auf den Rängen. Gewiss, in der zweiten Halbzeit wurde es ein wenig besser, lehnten sich die Herthaner konsequenter gegen die sich anbahnende Blamage auf, hatten auch besonders nach Standardsituationen die eine oder andere Torchance (Neuendorf, Friedrich) – doch das alles war viel zu wenig, um noch den ohnehin bescheidenen Ansprüchen gerecht zu werden. „Es ist uns nicht gelungen, den Kopf frei zu bekommen. Und Angst ist ein ganz schlechter Ratgeber“, sagte Stevens.

Vielleicht waren die Herthaner auch verblüfft, wie mutig die Gäste aufspielten. Zur Pause hieß das Eckenverhältnis 4:1 für sie, mit ihrem schnellen und technisch guten Flügelspiel stellten sie Herthas Abwehr auch später vor immer neue Probleme. Und als sie Sekunden vor dem Abpfiff gar mit 3:1-Überzahl auf Gabor Kiraly zuliefen, hätten sie Hertha fast noch besiegt.

Für Stevens war vor dem Spiel wichtig, „dass die Null hinten steht“. Das tut sie, doch die Null steht auch vorn. Das macht die Aufgabe für Hertha im Rückspiel so schwierig. Und statt vor dem sonntäglichen Bundesliga-Duell mit dem Hamburger SV Selbstvertrauen zu tanken, ist die Verunsicherung noch größer geworden. Ganz gewiss auch bei Stevens. Mag ihm auch Hoeneß weiterhin den Rücken frei halten. Wie lange noch?

Klaus Rocca

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