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Gleiche Vereinsfarben, andere Meinungen. David Grabow (links) ist Vorsitzender des Leipziger Fanclubs "Glücksbullen", Sven Richter ist Mitglied der "Eisernen", die den 1. FC Union anfeuern.

© Georg Moritz

1. FC Union gegen RB Leipzig: Fans im Streitgespräch: "Die Dosenbrause sagt, wo es bei euch langgeht"

Für die Fans des 1. FC Union ist RB Leipzig ein Feinbild. Zu sagen hatten sie sich nichts - bis jetzt! Vor dem heutigen Spiele haben wir Fans beider Seiten zum Streitgespräch gebeten.

Herr Richter, Herr Grabow, bevor wir anfangen: Wollen Sie etwas trinken?
SVEN RICHTER: Kaffee, bunt, mit Kuh und Zucker.
DAVID GRABOW: Cola bitte.

Wie, kein Red Bull? Ihr Verein gehört doch der Firma.
RICHTER: Ein Fan, der nicht auf die eigene Brause steht, hehehe.
GRABOW: Ich trinke es auch mal. Aber das habe ich schon getrunken, bevor Herr Mateschitz bei uns in Fußball investiert hat.

Was ist denn das Getränk der Union-Fans?
RICHTER: Bier.
GRABOW: Gibt's bei uns im Stadion auch.
RICHTER: Aber nicht das gute Berliner!

Beim letzten Union-Heimspiel sangen die Fans: „Alle Bullen sind Schweine.“ Gemeint waren nicht Polizisten, sondern der nächste Gegner, RB Leipzig...
RICHTER: ...die Mannschaft hat dazu getanzt...

Ist das erste Spiel bei RB Leipzig am Sonntag ein Highlight für Union-Fans?
RICHTER: Highlight würden wir das nicht nennen. Etwas Besonderes, ja. Weil man den Verein nicht abkann. Und Leipzig ist vor den Toren Berlins, da kommen sicher ein paar Fans mehr mit.

Im Hinspiel trugen die Union-Fans als Protest gegen RB schwarze Müllsäcke. Diesmal gibt es vor Anpfiff der Zweitligapartie in Leipzig ein Traditionsspiel bei der BSG Chemie. Sind weitere Aktionen geplant?
RICHTER: Kein Kommentar.

Wie kommen solche Aktionen bei den RB-Fans an?
GRABOW: Gerade die Rufe sind wir ja seit der ersten Saison gewohnt. Die Fanszene reagiert mit Sarkasmus, indem wir die Lieder oft selber anstimmen oder einfach beim Gegner mitsingen. Ob man nun schwarze Müllsäcke im Stadion verbreiten muss…
RICHTER: Es ging da um Trauer, den Untergang der Fankultur.

"Das hat nichts mehr mit normalem Sponsoring zu tun"

Gleiche Vereinsfarben, andere Meinungen. David Grabow (links) ist Vorsitzender des Leipziger Fanclubs "Glücksbullen", Sven Richter ist Mitglied der "Eisernen", die den 1. FC Union anfeuern.
Gleiche Vereinsfarben, andere Meinungen. David Grabow (links) ist Vorsitzender des Leipziger Fanclubs "Glücksbullen", Sven Richter ist Mitglied der "Eisernen", die den 1. FC Union anfeuern.

© Georg Moritz

Es war gar nicht so einfach, Union-Fans für dieses Gespräch zu finden. Gibt es überhaupt einen Dialog zwischen beiden Fangruppen?
RICHTER: Auf die Idee kommt gar keiner. Jeder hat seine Meinung, der andere kann sie nicht mit Argumenten wegdiskutieren. Also macht es keinen Sinn.

Warum sind Sie dann hier?
RICHTER: Ich finde es wichtig, dass man zumindest diskutieren und sich an einen Tisch setzen kann.

Ist RB der neue Hauptfeind neben dem BFC Dynamo?
RICHTER: Definitiv. Beim BFC ist zwar ein Hass da, aber auch ein gewisser Respekt. Weil der Verein genauso alt ist wie wir, die Fanszene da gewachsen ist und sich gehalten hat, selbst in harten Zeiten im goldenen Westen. Und dann kommt irgendwann so ein österreichischer Brausemilliardär und ist der Meinung, er rollt den Ostfußball auf. Aber nur halbherzig, weil er mit diesem Produkt nur an seine eigene Tasche denkt und nicht den Fußball im Osten.

Was werfen Sie RB Leipzig konkret vor?
RICHTER: Niemand würde es der Dosenbrause übel nehmen, wenn sie sich als Sponsor überall im Osten eingebracht hätte. So wie Herr Kölmel damals bei Hansa Rostock oder bei uns bei Union. Das ist aber nicht das Ziel. Das Ziel ist, ein Marketingprodukt zu platzieren, europaweit, weltweit. Das hat nichts mehr mit normalem Sponsoring zu tun.
GRABOW: Ich finde diese Variante sogar besser als Sponsoring. Diese finanzielle Absicherung bringt auch Sicherheit in der Fanszene. Das ist nicht wie in Paris oder bei Manchester City, wo jemand einsteigt und Spieler einkauft. Herr Mateschitz und Red Bull liegt schon etwas daran, der Region zu helfen.

Wie meinen Sie das?
GRABOW: Wichtig ist mir, dass der Verein sich mit der Region identifiziert. Da werden viele Jugendvereine unterstützt, finanziell oder mit Trikots. Da wird ein Jugendleistungszentrum für 40 Millionen Euro gebaut...
RICHTER: Wo Porsche mit investiert und die Stadt Leipzig mit 2,8 Millionen Euro. Die EU-Sportförderung war leider nicht zu googeln.
GRABOW: Du willst doch auch, dass die besten Talente des Ostens nicht weiter abwandern. Es geht nicht nur darum, dass die erste Mannschaft möglichst schnell in der Bundesliga spielt.RICHTER: Dann verstehe ich nicht, warum ihr gerade den Trainer entlassen habt.
GRABOW: Da hatte doch Union mit Uwe Neuhaus ein ähnliches Beispiel.
RICHTER: Der war sieben Jahre da.
GRABOW: Aber dann waren die Ziele auch höher...
RICHTER: Ja, aber nicht von heute auf morgen, mitten in der Saison.
GRABOW: Er wurde nicht entlassen, sondern ist nach Bedenkzeit gegangen. Es war aber auch ein Bruch in der Mannschaft zu erkennen.
RICHTER:Was für euch ein Bruch ist, ist für alle anderen Fans pure Schadenfreude. Am Sonntag verliert ihr das nächste Spiel, dann wird es wieder nichts mit Erster Liga.

Woher kommt diese Schadenfreude?
RICHTER: Das hat nix mit Neid zu tun. RB kämpft mit völlig anderen Mitteln als andere Vereine. Sie setzen Transferregeln außer Kraft, verschieben Spieler zwischen Salzburg, New York und Leipzig hin und her. Das kann kein anderer Verein.
GRABOW: Da müssten die Fans bei ihren Vereinen vorsprechen, warum sie nicht die bestehenden Regeln nutzen, die Kooperationen möglich machen.
RICHTER: Das hat große Ähnlichkeiten mit dem Hauptstadtklub aus Hohenschönhausen, der sich die besten Spieler herholen wollte, ohne zu fragen. Diesesmal ist es keiner von der Stasi, sondern ein Milliardär. Im Endeffekt sind es dieselben Strukturen.
GRABOW: Union ist auch auf politisches Drängen entstanden. Da sehe ich Parallelen. Ob ein Verein aus politischen oder ökonomischen Gegebenheiten, wie bei uns, entsteht, ist einfach eine Anpassung auf dem Markt. Der Fußball hat sich global extrem entwickelt, ohne Geld kann man nicht erfolgreich sein.

Geht es bei RB nur darum, ein Produkt zu bewerben?
RICHTER: Du hast zweimal den Sponsor auf dem Trikot, auf der Brust und im Klublogo. Das ist ein Unding und eigentlich verboten. Trotzdem gibt’s eine kleine Änderung, statt Sonne ein Ball, zwei rote Striche dazu und danke. Das Logo ist dasselbe.
GRABOW: Eine gewisse Ähnlichkeit ist ja nicht zu bestreiten. Ob es einen großen Marketingeffekt hat, das Logo zweimal am Trikot zu platzieren, wage ich zu bezweifeln. Es ist schon das dritte Klublogo, das RB hat. Ob ja jetzt Bullen drauf sind oder Adler, das wird meine Einstellung zum Verein nicht ändern.
RICHTER: Das Schlimme ist, dass ich von Leipziger RB-Besuchern – ich möchte sie nicht als Fans bezeichnen – höre: „Wie der Klub heißt, ist mir scheißegal. Endlich gibt’s hier wieder Fußball.“ Fußball gab’s auch die 25 Jahre nach der Wende. Da gab’s genug Klubs, die man hätte unterstützen können.

Sind Unternehmen bessere Fußballmanager?

Gleiche Vereinsfarben, andere Meinungen. David Grabow (links) ist Vorsitzender des Leipziger Fanclubs "Glücksbullen", Sven Richter ist Mitglied der "Eisernen", die den 1. FC Union anfeuern.
Gleiche Vereinsfarben, andere Meinungen. David Grabow (links) ist Vorsitzender des Leipziger Fanclubs "Glücksbullen", Sven Richter ist Mitglied der "Eisernen", die den 1. FC Union anfeuern.

© Georg Moritz

Wie sehen Sie das als Leipziger?
GRABOW: Ich konnte mich mit Chemie, Sachsen oder Lok, wie sie alle heißen, nicht identifizieren. Der eine hat sich nach der Wende in der rechten Ecke angesiedelt, der andere in der linken. Das hat viele Zuschauer gestört, die sich nicht mit politischen Parolen zutexten lassen wollen. Dann bin ich zu RB und hab das wirklich genossen. Da wurde ein attraktiver Fußball gespielt, in einem schönen Umfeld. Ein großer Teil der Fanszene ist einfach abgewandert.
RICHTER: Hätte Mateschitz Chemie und Lok gepusht, die wirklich Traditionsvereine sind, dann wäre die Fanszene in Leipzig komplett anders. Aber er wollte die nicht unterstützen, nur übernehmen.
GRABOW: Den Vereinen Geld zu geben, hat vorher auch schon nicht geholfen. Da gab es immer wieder Misswirtschaft und Insolvenzgefahr.

Sind Unternehmen also bessere Fußballmanager?
GRABOW: Es gibt bei uns Leute, die sich sportlich auskennen, und andere wirtschaftlich. Das ist in vielen Verein, nicht nur Ostvereinen, nicht so. Dort sitzen Spieler zwei Jahre nach dem Karriereende gleich im Vorstand, egal ob sie sich auskennen oder nicht. Da können wir gleich in Berlin bleiben. Michael Preetz war lange Stürmer bei Hertha BSC und ist auf einmal Manager. Ob das immer die richtige Wahl ist, darüber kann man diskutieren.
RICHTER: Mit Michael Preetz werdet ihr nächste Saison noch eure Erfahrungen machen, wenn ihr beide in der Zweiten Liga spielt. Unternehmer treffen ihre Entscheidung aus Sicht der Wirtschaft, nicht der Fans. Fans müssen ein Mitspracherecht haben. Bei euch kommt ein Unternehmer, wirft ein bisschen Geld hin, die Stadt und alle anderen schreien Juhu und keiner überlegt. Niemand überlegt, wie der alle Regeln aushebt und nur sein Ding durchzieht 

Was macht Fankultur für Sie aus?
RICHTER: Jeder Klub lebt seine Fankultur anders. Wir haben das große Glück, dass wir aktiv in der Vereinsarbeit mitreden dürfen, dass abgestimmt wird. Wir sind ja nicht nur Fans, wir sind Blutspender, Stadionbauer, alles. Das macht für mich Union aus.
GRABOW: Den Begriff Fankultur kann man genauso wenig definieren wie den Begriff Traditionsverein. Fankultur entwickelt sich überall unterschiedlich. Klar waren das tolle Aktionen von Union. Aber die sind teils entstanden, weil der Verein die finanziellen Mittel nicht aufbringen konnte. Da haben wir in Leipzig ganz andere Voraussetzungen. Wichtig für Fankultur ist immer, dass sich Fans frei entwickeln können und es keine Vorgaben vom Verein gibt.
RICHTER: Naja, eine Fanszene in Leipzig ist gar nicht gewünscht und gefördert. Ob ich Freikarten ausgebe oder Tickets verbilligt an Sponsoren, so wie Hertha BSC nach dem Abstieg, Hauptsache unser Stadion ist voll, das ist eigentlich ein No-Go.
GRABOW: Freikartenaktion sind genau geregelt von DFL und DFB. Bei uns ist der Anteil an gesponserten Karten geringer als bei euch, weil ihr mehr kleine Sponsoren habt, die Karten bekommen. Bei uns werden keine Eckbälle oder Einwürfe von Firmen präsentiert.

Wie stehen Sie zu den Plakaten in Aue, auf denen RB-Fans mit Nazis verglichen wurden?
RICHTER: Das war zu heftig, darüber müssen wir nicht diskutieren. Auch die Profis mit Schneebällen zu bewerfen. Das war ein körperlicher Angriff, ein No-Go. Aber du kommst zu RB als Gast und im Stadion sind Proteste überhaupt nicht erlaubt. Wenn du ein "Anti-RB"-Shirt trägst, wird dir der Zutritt verwehrt. Oder du ziehst es aus, bei Minus 20 Grad, ein Unding. Mädchen müssen sich bis auf die Schlüpper ausziehen, weil die Angst haben, die könnte da Plakate verstecken. Ihr wart überhaupt nicht gastfreundlich, für Aue war das die pure Rache.
GRABOW: Aue war definitiv unter der Gürtellinie. Braunschweig etwa hat gezeigt, wie man kreativ protestieren kann. Aber letztlich müssen sie sich bewusst sein, dass sie uns nur wieder zusätzlich in die Schlagzeilen bringen.

Was die Fans gerne vom anderen Verein hätten

Gleiche Vereinsfarben, andere Meinungen. David Grabow (links) ist Vorsitzender des Leipziger Fanclubs "Glücksbullen", Sven Richter ist Mitglied der "Eisernen", die den 1. FC Union anfeuern.
Gleiche Vereinsfarben, andere Meinungen. David Grabow (links) ist Vorsitzender des Leipziger Fanclubs "Glücksbullen", Sven Richter ist Mitglied der "Eisernen", die den 1. FC Union anfeuern.

© Georg Moritz

Zählt als Fan, wie lange man dabei ist? Gibt es so etwas wie Traditions- und Plastikfans?
RICHTER: Nee, wir haben dieses Thema ja auch bei uns. Es geht nicht darum, wie lange jemand dabei ist, sondern mit welchem Herzblut er sich einbringt. Ein Zwanzigjähriger kann nichts dafür, dass er den Verein nicht so lange kennt wie ein Fünfzigjähriger.

Sind RB-Fans also nicht mit Herzblut dabei?
RICHTER: Bei RB geht es darum, dass niemand weiterdenkt. Nicht die Stadt, nicht die Fans. Was passiert, wenn Herr Mateschitz keine Lust mehr hat, sich im Sport einzubringen? Oder wie in den USA den Verein woanders hin verkauft, wenn im Osten nix mehr zu holen ist? Dieses Weiterdenken fehlt komplett. Dann steht ihr wieder da ohne Fußball.

Sehen Sie in Leipzig diese Gefahr?
GRABOW: Herr Mateschitz wird sich nicht von einem Tag auf den anderen da rausziehen, dafür hat er zu viel Geld investiert. Bisher hat er nur Verluste gemacht, die Früchte sollen noch geerntet werden. Die Gefahr sehe ich die nächsten 20 Jahre überhaupt nicht. Und wenn, dann sollte der Verein so gefestigt sein, dass er ohne diese Geldgeber besteht.
RICHTER: Er besteht doch nur aus Geldgebern! Nur die Dosenbrause sagt, wo es langgeht. Es gibt nur neun Mitglieder, alles RB-Mitarbeiter. Du glaubst doch nicht, dass die irgendetwas durchsetzen, was der Fan will. Ihr habt null Mitspracherecht.
GRABOW: Was ist denn für dich Mitspracherecht?
RICHTER: Das kann ich dir sagen. Bei uns bestimmen wir unser Präsidium alleine. Wir könnten Herrn Zingler abwählen. Ihr nicht.
GRABOW: Doch.
RICHTER: Ihr habt keine Chance. Ihr seid 300 Fördermitglieder, ihr könnt höchstens etwas im Jugendbereich mitbestimmen.
GRABOW: Würde ich nicht so sagen. Wir haben einen Fanverband, wo die Fanclubs organisiert sind, der Verein kommt auf uns zu bei Fanfragen. Da ist großes Interesse da, dass sich Fans einbringen.
RICHTER: Ihr werdet gefragt, ob ihr euch einbringen wollt. Die Umsetzung liegt immer beim Verein.

Das klingt, als könnten Sie sich schwer einigen. Gibt es wenigsten etwas, das Sie gern vom anderen hätten?
GRABOW: Was ich sehr an Union schätze, sind die vielen couragierten Fans, die sich einsetzen gegen Rassismus. Die haben wir in Leipzig auch, aber Verstärkung kann nie schaden.

Und Sie? Was hätten Sie gerne von RB?
RICHTER: Die Knete. Finanzkräftige Sponsoren, die aber bereit sind, zurückzustecken.

Das Interview führten Dominik Bardow und Sebastian Stier

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