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Sport: 1. FC Union: Notfalls auch für die gesunkene Ölplattform verantwortlich

"Unioner zu sein, ist alltäglich. BFCer zu sein, hat Charakter.

"Unioner zu sein, ist alltäglich. BFCer zu sein, hat Charakter." Mancher Spruch, den die Fans des Fußball-Oberligisten BFC Dynamo zum Besten geben, klingt heutzutage reichlich seltsam, gerade angesichts der Historie des Klubs. Schließlich galt die Anhängerschaft des 1. FC Union als beinahe revolutionär. Dynamo dagegen war der biedere Stasiklub. Heute Abend treffen beide Vereine wieder einmal aufeinander. Nur nicht in der DDR-Oberliga, sondern im gewöhnlich weitaus weniger aufregenden Paul-Rusch-Pokal (19 Uhr, Jahnsportpark).

Ohnehin ist der Derbyklassiker von einst nicht mehr das, was er einmal war. Früher, zu DDR-Zeiten, da ging es fast um elementare Dinge. Die beiden Fangruppen waren so etwas wie Klassenfeinde. Der BFC Dynamo war der Lieblingsklub von Stasi-Chef Erich Mielke und hatte dementsprechend seine Privilegien. Da vergaß manch ein Schiedsrichter einfach mal den Blick auf die Uhr und ließ eben so lange spielen, bis Dynamo ein siegbringendes Tor erzielt hatte. Auch Linienrichter interpretierten mitunter die Abseitsregel zum Vorteil des BFC. Und wer in der DDR als junger Spieler hinreichend Talent nachgewiesen hatte, der wurde abkommandiert zu Dynamo. Derart unterstützt, holte der Klub zehn Meistertitel in Serie, war aber gehasst wie kein anderer.

Der 1. FC Union hingegen war, sozusagen von Staats wegen, dazu verdammt, die ewige Nummer zwei im Osten Berlins zu bleiben. Den Fans passte das logischerweise gar nicht, es entwickelten sich Hassgefühle gegen den die Staats-Allmacht repräsentierenden BFC Dynamo. Das fing im Kindergarten an und endete am Arbeitsplatz. Union- und Dynamo-Fans hatten die Stadt schließlich unter sich aufgeteilt. Die Gegend um den Alexanderplatz war BFC-Terrain, ein kleiner Imbissladen unten am Fernsehturm der bekannte Treffpunkt. Die Unioner dagegen sammelten sich in Köpenick. Anfang der 80er Jahre kam man sich dann immer wieder näher. Zum Beispiel am S-Bahnhof Jannowitzbrücke. Da lauerten die BFC-Fans auf die Unioner, die mit der S-Bahn aus der Alten Försterei kamen. Der Zug wurde attackiert, und das Ganze endete in einer zünftigen Massenschlägerei auf dem Bahnsteig.

"Die Volkspolizei war damals nicht ganz so clever", sagt Unions Fanbeauftragter Sven Schlensog, "da schien sich das Volk eher austoben zu dürfen." Ob im Stadion oder eben in der Stadt. Seit 25 Jahren geht Schlensog nun schon zu Union, er hat etliche Spiele gegen den Erzfeind miterlebt. "Die Bedeutung dieses Spiels ist nicht mehr so groß, wie sie einmal war", sagt Schlensog. Mittlerweile hätten sich die Union-Fans ein anderes Feindbild gesucht: Tennis Borussia, den Klub aus Charlottenburg. Denn über den BFC Dynamo konnten sich die Union-Fans nicht mehr richtig aufregen. Der DDR-Rekordmeister erlebte einen bemitleidenswerten Niedergang. Statt Nottingham Forest und AS Rom heißen die Gegner jetzt VfB Lichterfelde und Brandenburger SC Süd. Der BFC Dynamo ist in der NOFV-Oberliga angelangt. Nun geht es für die Fans alle zwei Wochen mit dem Wochenendticket der Bahn in die Provinz. Und einen Ausreiseantrag braucht man für ein Spiel bei den Reinickendorfer Füchsen auch nicht mehr.

Union ist längst am ewigen Sieger vorbeigezogen. Der Köpenicker Verein hat einen gewissen Charme, ist Kult. Und spielt demnächst vielleicht im Uefa-Cup und der Zweiten Bundesliga. Die Dynamo-Anhänger werden auch heute noch immer wieder mal mit der Stasivergangenheit ihres Klubs konfrontiert. Dabei hatten viele der Jugendlichen nicht viel mit der Politik am Hut. Beispielsweise haben einige den Schriftzug "Dynamo" bei ihren Aufnähern abgeschnitten. "BFC" galt als stasifrei, "Dynamo" versinnbildlichte das genaue Gegenteil.

Sportlich sieht der Verein inzwischen ein kleines Lichtlein am Ende des Tunnels. Dynamo spielt um den Aufstieg, von Zweitligafußball im Jahr 2005 ist die Rede. "Unsere Fans sind heiß", sagt Dynamos Fanbeauftragter Rainer Lüdtke. Krawalle von der bundesweit bekannten Fanszene, die zum Teil den rechten Kreisen zuzuordnen ist, meint er damit freilich nicht. "Nein, der Hass hat sich gelegt. Wir haben ja nichts mehr miteinander zu tun." Beim Fußball jedenfalls. In der Türsteherszene vor Berlins Diskos sind auch Hooligans aus beiden Lagern vertreten. Man kennt sich von Boxkämpfen oder aus dem Fitness-Studio. Verschwunden sind die gewaltbereiten Fans des BFC Dynamo jedenfalls nicht. Das weiß Lüdtke, "nur geht es denen heute mehr um den Verein", sagt er. Früher haben sich die normalen Fans untereinander geprügelt, das war Ehrensache.

7000 Zuschauer erwartet Dynamos Manager Hans Reker zum heutigen Achtelfinalspiel. Für den Gewinn des Paul-Rusch-Pokals springen 50 000 Mark heraus, der Gewinner tritt im DFB-Pokal an. Vorerst liefern der Klub und seine Fans aber anderweitig Schlagzeilen. Am vorigen Wochenende sollen BFC-Hooligans, die beim Bundesliga-Spiel von Hertha BSC in Cottbus als Ordner eingesetzt waren, im Hertha-Fanblock randaliert haben. Dazu haben sich die BFC-Fans jetzt im Internet geäußert. Da man eh immer für alles verantwortlich gemacht werde, könne man es ja nun zugeben: "Unsere Jungs haben auch die Ölplattform im Atlantik umgeschmissen."

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