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Die erste Etappe führte das Peloton von Porto Vecchio nach Bastia, bei schöner Aussicht auf die Strände von Korsika.

© afp

100. Tour de France: Schafe und Doping

Bei ihrer Premiere auf Korsika fürchtet die Tour de France nicht die Mafia, sondern weitere Dopingfälle.

Die 100. Tour de France ist ein echtes Abenteuer. Gerade für die Franzosen. Denn während die Festlandbewohner davon ausgehen, dass sie komplett in Frankreich stattfindet – zum letzten Mal geschah dies übrigens 2003 –, hält die Separatistenorganisation „Corsica Libera“ den Grand Depart eindeutig für einen Start im Ausland. „Seit vielen Jahren geht die Tour de France ins Ausland. Seit 1954 ist es auch Tradition, dass der Start dieses internationalen Wettbewerbs jenseits französischer Grenzen stattfindet“, heißt es in einem Kommuniqué. Es spielt auf Dublin und London, Monaco, Rotterdam und Lüttich an – und leitet daraus die doch verblüffende Schlussfolgerung ab: „Die 100. Ausgabe, die in Porto-Vecchio startet, ist keine Ausnahme von der Regel.“

Als wollten die Tourorganisatoren selbst das Bild vom Start im Ausland festschreiben, haben sie sich auf das mit 830 Kabinen ausgestattete Fährschiff „Mega Smeralda“ zurückgezogen und das Pressezentrum dort gleich mit eingerichtet. Mächtig wirkte es im kleinen Hafen von Porto-Vecchio, wo die Tour am Sonnabend begann (siehe Kasten). Immer noch mächtig nimmt es sich im Hafen von Bastia aus. Auch nach Ajaccio und Calvi soll es den Tross begleiten. Man fühlt sich an schwimmende Kommandozentralen von seetüchtigen Eroberern erinnert, die sich nicht an Land trauen.

Den Fuß auf die Felseninsel gesetzt hat Tourdirektor Christian Prudhomme dann doch. Er darf sich darauf verlassen, dass die Tour von den Korsen willkommen geheißen wird. Etwa zehn Millionen Euro hat die Regionalregierung schließlich in die Infrastruktur gesteckt. Bis zu 100 Millionen Euro erhofft man sich an Umsatz für Übernachtung, Verköstigung und Transport. Da dürfte denn auch die lokale Mafia stillhalten und etwaige Fehden, von denen in den vergangenen Jahren häufiger zu lesen war, zumindest für die Zeit aussetzen, in der die Insel total fernsehüberwacht ist und die gesamte Welt zuschaut. Denn wie hatte Frankreichs Innenminister Manuel Valls jüngst in einem Interview im Nachrichtenmagazin „L’Express“ gesagt: „Es gibt auf Korsika sehr wohl eine organisierte Kriminalität, die durch Erpressung und Gewalt an Reichtümer gelangen will. Sie zögert nicht, in bestimmte Institutionen einzudringen und in die am besten entwickelten wirtschaftlichen Sektoren.“ Doch Geld macht man nur, wenn die Konsumenten nicht in Panik fliehen. Der Tour droht in diesen drei Tagen daher die meiste Gefahr wohl nur durch Schafherden, die stoisch die Wege des Pelotons kreuzen könnten.

Tour de France: TV-Erklärer Laurent Jalabert taucht dieses Jahr nicht auf den Schirmen auf. Dem Liebling der Nation wurde Epo nachgewiesen.

Neben solchen pittoresken Szenen müssen sich die Franzosen zur 100. Tour aber mit einem Verlust abfinden. Der große TV-Erklärer Laurent Jalabert taucht dieses Jahr nicht auf den Schirmen auf. Eine nachanalysierte Dopingprobe aus dem Jahre 1998 – dem Jahr des Festina-Skandals – wies Epo in einer Urinprobe des Lieblings der Nation nach. Die Nachanalysen waren von einer Untersuchungskommission des französischen Senats angeordnet und bereits 2004 durchgeführt worden.

Bernard Hinault, fünffacher Toursieger und jetzt Mitarbeiter des Veranstalters ASO, wittert ein Verschwörungsszenario. „Sie wollen die Tour killen. Warum geht es immer nur gegen den Radsport? Wir müssen dringend mit diesem Unsinn aufhören“, wetterte er. Seinem Arbeitgeber ASO droht noch weiteres Ungemach. Der Senat beabsichtigt, am 18. Juli auch andere Namen von Fahrern bekannt zu geben, bei denen die 1998er Dopingproben bei Nachtests positive Ergebnisse zeitigen. Der an diesem Tag auf dem Programm stehende doppelte Aufstieg nach L’Alpe d’Huez droht von Nachrichten überschattet zu werden, die seit 2004 schon hätten bekannt sein können.

Prompt formierte sich eine Abordnung von aktuellen Tour-Teilnehmern, die den Senat und die französische Sportministerin Valerie Fourneyron aufforderte, die Verkündung der Namen zu verschieben. „Das sind Sachen von Fahrern, die nicht zu unserer Generation gehören“, meinte der Franzose Samuel Dumoulin. Der AG2R-Profi absolvierte tatsächlich erst 2003 seine erste Tour. Pech nur, dass zu seiner Delegation auch Jens Voigt gehörte. Der Berliner war 1998 Tour-Debütant. Noch mehr Pech, dass sich den Bittstellern auch Luis Angel Mate anschloss. Der Spanier war 2009 einer der Verdächtigen im Rahmen der später zu den Akten gelegten „Operacion Chinatown“, in der die Guardia Civil die Machenschaften des Radsportarztes Jesus Losa aufdeckte.

Die Profis können allerdings auf Unterstützung ihrer Bitte durch die Organisatoren rechnen. Denn einen erneuten Dopingskandal würden nicht einmal die französischen Fans verzeihen. Einer Umfrage zufolge wollen zwar 47 Prozent aller Franzosen die Tour sehen. Aber 64 Prozent sagen auch, dass sie abschalten, wenn die Dopingskandale anhalten. Die „Mega Smeralda“ könnte dann zu einem Geisterschiff werden.

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