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Jubel

© dpa

2:1-Sieg gegen die Schweiz: Die Türken werfen den Gastgeber raus

Die Türken haben die Schweiz aus dem Turnier geworfen. Im Dauerregen von Basel gewinnen sie 2:1. Dem Gastgeber nützt jetzt auch ein Sieg am Sonntag gegen Portugal nichts mehr.

Am Tag, als der Regen nach Basel kam, so heftig und so viel wie noch nie in den vergangenen Tagen, erlebte die Europameisterschaft beim 1:1 zwischen der Schweiz und der Türkei ihr bislang kuriosestes Spiel. Mit einem dramatischen Ende. In der Nachspielzeit schoss der Türke Arda Turan den Ko-Gastgeber Schweiz mit seinem Tor zum 2:1 (0:1) aus dem Turnier. Der Schweizer Abwehrchef Patrick Müller hatte unhaltbar abgefälscht. Kurz darauf pfiff Schiedsrichter Lubos Michel ab. „Ich denke, dass unser Sieg verdient war und er tut sehr, sehr gut. Wir haben nur Endspiele gehabt in letzter Zeit. Anscheinend brauchen wir diesen Druck“, sagte der Münchner Hamit Altintop.

Die türkischen Fans unter den 40 000 Zuschauern im Baseler St.-Jakob-Park jubelten, die Schweizer gaben sich schweigendem Entsetzen hin. Vergessen waren die zeitweise irregulären Bedingungen, nachdem ein halbstündiger Wolkenbruch das Spielfeld unter Wasser gesetzt hatte. Und vergessen war auch, dass die Sache um ein Haar anders ausgegangen wäre und fast ein türkischstämmiger Schweizer das Land seiner Eltern vorzeitig aus dem Turnier geschossen hätte.

Es war ein seltsames, nicht mit normalen Maßstäben zu messendes Spiel. Kurz vor dem Anpfiff waren dunkle Wolken bedrohlich über dem Stadion aufgezogen, nach exakt elfeinhalb gespielten Minuten entleerten sie sich auf dem Rasen. Es dauerte nicht lange, da wurde jeder Schritt, jedes Auftippen des Balles von Spritzfontänen begleitet. Manchmal blieb der Ball liegen, manchmal nahm er zusätzliches Tempo, so genau ließ sich das nicht berechnen. So war das auch beim Schweizer Führungstor.

Der lange Pass von Philippe Senderos hinaus auf den rechten Flügel wäre im Normalfall wohl ein wenig zu lang gewesen für Eren Derdiyok. In dieser 32. Minute aber bremste das Wasser den Lauf des Balles. Derdiyok lief in den Strafraum, umkurvte Torhüter Volkan Demirel und passte in die Mitte, wo der Ball wie bestellt vor Hakan Yakin ein paar Meter vor dem leeren Tor liegen blieb. Wie ein Geschenk unterm Weihnachtsbaum, das nur noch ausgepackt werden will.

Yakin, in Basel geborener Sohn türkischer Eltern, machte es wie der Deutsch-Pole Lukas Podolski nach seinen beiden Toren gegen die Heimat seiner Eltern. Er jubelte leise in sich hinein und verzichtete auf große Gesten. Respekt vor dem Land seiner Vorfahren. Auch die Eltern des Vorlagengebers Derdiyok hat türkische Vorfahren, genauso Mittelfeldspieler Gökhan Inler. Die Empfindlichkeiten auf beiden Seiten sind bekannt. Als Derdiyok vor ein paar Wochen beim Schweizer Gastspiel in Wembley ein Tor schoss, wurde er dafür in der Schweiz und in der Türkei gefeiert. In dieser ersten Regenhalbzeit hätten die Schweizer das Spiel für sich entscheiden können, ja müssen. „Aus zwei Halbchancen haben wir zwei Tore bekommen, das ist natürlich ganz bitter", sagte hinterher Eren Derdyiok. "Die Chancen zum 2:0 haben wir leider nicht genutzt.“

Kurz nach seinem Führungstor wurde Yakin von Valon Behrami ein zweites Mal perfekt ins Szene gesetzt, doch diesmal war er zu überrascht, die so günstige Gelegenheit wahrzunehmen und schob den Ball weit neben das Tor. Was hätte das für einen Wirbel gegeben in den Istanbuler Zeitungen, wenn ausgerechnet einer, den sie dort immer noch als einen Landsmann empfinden, die Türkei nach Hause geschickt hätte. Schweizer und Türken waren einander zuletzt nicht gerade in großer Herzlichkeit zugetan. Da reicht zurück in den November 2005, als die Türken in Istanbul 4:2 siegten und doch die WM in Deutschland verpassten, was auf dem Weg in die Kabine in wüsten Prügelszenen endete. Damit das ja nicht in Vergessenheit gerät, hatte sich der „Blick“ für gestern eine ganz besondere Titelseite ausgedacht: „So oder so – heute gibt’s Kebap!“, dichtete das Boulevardblatt unter einer Karikatur, die Hakan Yakin zeigt, wie er mit langem Messer auf einen Dönerspieß zeigt, der dem türkischen Trainer Fatih Terim verdächtig ähnlich sieht.

Wenn nun eine türkische Replik auf unterstem Polemik-Niveau ausbleiben sollte, könnte das auch am Wetterwechsel zur zweiten Halbzeit liegen. Der Regen verflüchtigte sich und mit ihm das türkische Schreckgespenst eines frühen Scheiterns. Der Platz war fortan zwar nicht in einem optimalen Zustand, aber das Element der Unberechenbarkeit war ausgeschaltet. Die Türken spielten die Vorteile ihrer besseren Technik aus, sie machten Druck und ein Tor, das überhaupt nichts mit dem Regen zu tun hatte. Der eingewechselte Semih Sentürk erzielte es mit dem Kopf nach perfekter Flanke von Nihat Kahveci.

Es lief schon die Nachspielzeit, die Schweizer warfen alles nach vorn, da wurden sie eiskalt ausgekontert. Über den linken Flügel kam der Ball zu Arda Turan, der machte noch ein paar Schritte, zog ab aus 20 Meter. Abgefälscht von Patrick Müller senkte sich der Ball über den Schweizer Torhüter Diego Benaglio ins Netz. Der Rest war türkischer Jubel und Schweizer Trauer.

Siegerlächeln
Jubel in allerletzter Sekunde. Arda Turan feiert das 2:1.

© AFP

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