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Sport: 20 000 Arbeitsplätze sollen erhalten bleiben – und ein guter Eindruck

POLITIK Die ganz große Koalition Schon als Zehnjähriger, schreibt Gerhard Schröder in seinen Erinnerungen, war ihm klar: „Fußball konnte Glanz erzeugen.“ Diese Erkenntnis kam ihm verständlicherweise 1954, und die politische Strategie für 2006 sah deshalb so aus: viel Glanz erzeugen und dann locker die Wahl gewinnen.

POLITIK

Die ganz große Koalition

Schon als Zehnjähriger, schreibt Gerhard Schröder in seinen Erinnerungen, war ihm klar: „Fußball konnte Glanz erzeugen.“ Diese Erkenntnis kam ihm verständlicherweise 1954, und die politische Strategie für 2006 sah deshalb so aus: viel Glanz erzeugen und dann locker die Wahl gewinnen. Doch aus all den taktischen Überlegungen („Schröder reicht das Achtelfinale“) wurde nichts, schon vor dem ersten Anpfiff saß Angela Merkel auf der Tribüne. Der WM hat es gut getan, nicht in die parteipolitische Vermarktungsmühle geraten zu sein. Stattdessen hat die kaum fußballaffine Merkel überraschend emotional gejubelt, auch neben dem stoischen polnischen Präsidenten – geprägt haben diese Momente ihre Kanzlerschaft nicht. Umgekehrt schadete es der WM auch nicht, dass nicht „Acker“ Schröder und Schily im Rampenlicht standen. Die WM blieb politisch uninstrumentalisiert und wurde so zu dem, was sie organisatorisch von Anfang an war: das Projekt einer ganz großen Koalition. Sich daran nicht zu beteiligen, wäre dem politischen Selbstmord gleichgekommen. Und als noch ein Sponsor fehlte, war natürlich das Staatsunternehmen Bahn zur Stelle. Geführt wurde diese Koalition nicht zufällig von Franz Beckenbauer. Der kann links wie rechts. Moritz Schuller

BERLIN

Ende der Maulerei

Das „Wort des Jahres“ 2006 musste ein Fußballbegriff sein, am Ende war es die „Fanmeile“. Pikanterweise ist sogar dieses Wort ein WM-Erbe Berlins. Andere Städte hatten ein „Fanfest“, so der Fifa-Ausdruck für einen Marktplatz samt Videowand. Nur in Berlin feierten zehn Millionen Menschen auf der schmalen, länglichen Straße des 17. Juni – dem Symbol deutscher Partylaune. Berlin hat Eindruck hinterlassen, nicht nur bundesweit.

Natürlich, es gab auch Verlierer. Das Hotelgewerbe etwa. Die Übernachtungszahlen sanken laut jüngst veröffentlichtem Investitionsbank-WM-Bericht um 2,6 Prozent; die „Schankwirtschaft“ verspürte sogar einen Rückgang von 33,2 Prozent, weil alle in die Sonne wollten. Die Fans, die nach Berlin kamen, waren vor allem jung – und deshalb nicht so wohlhabend wie ein Kongresspublikum. Sie schliefen lieber in Pensionen in Schöneberg und tauchen deshalb in keiner Statistik auf, die nur Hotels abfragt. Die Investitionsbank spricht von durchschnittlich 300 000 Tagesbesuchern, die Macher von der Berlin Tourismus-Marketing (BTM) von mehr als 400 000 im Schnitt – „und somit 15 Millionen Tagesgästen“. Laut BTM hat die „WM- Nachhaltigkeit eingesetzt, wir erwarten ein Rekordjahr“.

Von 5700 WM-Arbeitsplätzen sind die meisten gestrichen. Aus Sicht der Industrie- und Handelskammer hat sich Berlin aber attraktiv präsentiert für Firmen. Das Image wurde widerlegt – Berlin ist weder maulig noch verstaubt –, „sondern schnell, jung und fröhlich“. Der Senat hat laut IBB-Studie 109 Millionen Euro Mehreinnahmen. Und sogar der Berliner durfte sich freuen: Über einen zur WM eröffneten Hauptbahnhof. Ein saniertes Olympiastadion. Und vielleicht nicht neue, aber doch geflickte Straßen. André Görke

WIRTSCHAFT

0,5 Prozent WM-Wachstum

Die WM schafft 100 000 Arbeitsplätze – mit dieser Vorhersage machte die Bundesagentur für Arbeit im Oktober 2005 Stimmung für die Weltmeisterschaft. Ende 2006 ist die Prognose zur Hälfte eingetreten. Und von den rund 50 000 Stellen, die rund um das Fußballereignis entstanden sind, werden knapp 20 000 auch im kommenden Jahr erhalten bleiben. So schätzt Ernst Hinsken, Tourismusbeauftragter der Bundesregierung. Der Beschäftigungseffekt der WM bleibt also mäßig, werden in der boomenden deutschen Wirtschaft ohnehin aktuell jeden Monat 30 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Dennoch hat die Weltmeisterschaft den Wirtschaftsstandort Deutschland zusätzlich in Schwung gebracht. Etwa 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes des Jahres 2006 gehen auf das Konto der WM. Das Gastgewerbe nahm 300 Millionen Euro mehr ein. Allein der Einzelhandel verbuchte „vor, während und nach der Weltmeisterschaft ein Umsatzplus von zwei Milliarden Euro“, wie die Bundesregierung bilanzierte. Der Fiskus selbst profitierte ebenfalls: Das Ertragssteueraufkommen stieg um 60 Millionen Euro.

Am nachhaltigsten dürfte aber der Imagegewinn sein. Standortkampagnen wie die weitergeführte „Deutschland – Land der Ideen“, die Service- und Freundlichkeitskampagne sowie das Kunst- und Kulturprogramm zogen bis zu zwei Millionen Touristen an, von denen mehr als 40 Prozent zum ersten Mal hier waren. Sowohl die Zahl der ausländischen Gäste als auch deren Übernachtungen legten bis Oktober im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um zehn Prozent zu. Nicht zu unterschätzen sind Wirkungen auf internationale Investoren. Sie haben den Standort Deutschland während der WM in einem attraktiveren Licht gesehen. Henrik Mortsiefer

KULTUR

Geniale Dramaturgie

Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg. Und weil die Fußball-WM in Deutschland ein strahlender, ausstrahlender Erfolg war, bleibt in der Bilanz auch allerhand kultureller Glanz. Es begann zwar mit der Absage des erhofften künstlerischen Highlights, der Eröffnungsgala von André Heller im Berliner Olympiastadion. Da waren Grönemeyer und die paar Goaßlschnalzer vorm Anpfiff am ersten WM-Spieltag in München nur ein matter Ersatzaufwärmer. Aber warm, nein: herzensheiß machten uns dann ganz bald der Wettergott und die Fußballgötter, die überraschenderweise nicht Ronaldo und Ronaldinho hießen. Sondern Lahm, Frings, Klose. Die Deutschen waren dank Klinsmanns Motivationskraft das wahre Kulturwunder der WM. Mit ihrer beflügelten Spiel- und Feierweise. Plötzlich herrschte eine neue Leichtigkeit des Seins, die Deutschlands Verhältnisse einen Sommer lang zum Tanzen brachte. Und – so bitter die 118. Minute des Dortmunder Halbfinales auch war – die Dramaturgie des großen WM-Theaters hätte (kulturell betrachtet) genialer kaum sein können.

Zum wahren Drama gehört ja, statt immer zu siegen, das stolze Scheitern. Scheitern, scheitern, besser scheitern, wie Samuel Beckett sagte, der ein leidenschaftlicher Fußballfan war. Nach dem späten jähen Sturz gegen Italien die gefeierte Wiederauferstehung als Dritter: Besser scheitern geht gar nicht. Das hat uns auch im Ausland mehr Sympathien eingebracht als jedes siegreiche Elfmeterschießen gegen die in der Verlängerung leider besseren Italiener. Sie, die Azzurri, müssen dafür nach all ihren anderen schlechteren Spielen die Würdebürde eines ungeliebten Weltmeisters tragen. Dieser Kelch, dieser Cup ist an uns grandios vorübergegangen. Peter von Becker

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