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Hertha im Finale. Ein Bild mit Seltenheitswert. Heute vor zwanzig Jahren standen die Amateure von Hertha, die Bubis, im Finale um den DFB-Pokal. Sie unterlagen Bayer Leverkusen 0:1, waren aber die Lieblinge Berlins.

© dpa

20 Jahre danach: Als die Hertha-Bubis in die Herzen der Berliner stürmten

Damals schrieb Hertha noch Geschichte. Die Amateure des Fußball-Klubs waren der Pokalschreck in der Saison 1992/93. Ihr Siegeszug gegen die Profikonkurrenz wurde erst am 12. Juni 1993 im Finale von Bayer Leverkusen gestoppt. Ihr Erfolg ist auch nach zwanzig Jahren noch unvergessen.

Der letzte Bubi ging um kurz vor zwölf. An einem unscheinbaren Donnerstag endete endgültig eine Ära, die Hertha BSC ein wenig Glanz beschert hatte in einer ansonsten wenig glanzvollen Zeit. Als Christian Fiedler vor ein paar Wochen in einem zweiminütigen Protokollakt die Freistellung als Torwarttrainer übermittelt wurde, war keiner mehr da von denen, auf die vor zwanzig Jahren ganz Deutschland geguckt hatte. Auf die zweite  Mannschaft von Hertha BSC, sie trug damals offiziell den Namen Hertha BSC Amateure, aber der Volksmund hatte längst einen eigenen Namen kreiert, er ist bis heute gängig. Vor zwanzig Jahren verliebte sich Berlin in die Hertha-Bubis.

Die drittklassige Reservemannschaft des damaligen Zweitligisten stürmte damals sensationell bis ins Finale des DFB-Pokals, mit Siegen über drei Zweit- und einen Erstligisten. Dazu muss man wissen, dass es Hertha sonst nicht so mit dem  DFB-Pokal hat. In dieser Saison endete das Abenteuer der Berliner Profis schon in der ersten Runde mit einer Niederlage beim Viertligisten Worms. Die  Amateure gaben sich vor zwanzig Jahren erst sehr viel später geschlagen. Im Endspiel, es ging im Berliner Olympiastadion  am 12. Juni 1993 0:1 gegen die Profis von Bayer Leverkusen verloren. Aber die Sympathien hatten sie längst gewonnen. „Weine nicht, wunderbare Hertha“, titelte der Boulevard, oder: „Hertha-Bubis, ihr seid Riesen!“

Der Torwart Christian Fiedler war damals 18, der jüngste im Team. Und einer der wenigen, die später auch bei den Profis Karriere machten. Da war ansonsten noch Carsten Ramelow, der hochtalentierte Mittelfeldspieler, dem Hertha aber bald zu klein wurde. Er wechselte zu Bayer Leverkusen und gehörte als Nationalspieler zu der Mannschaft, die 2002 WM-Zweiter wurde. Oder Andreas Schmidt, lange Zeit eine zuverlässige Stütze im Mittelfeld. Heute sitzt er im Aufsichtsrat des Klubs, hat aber mit dem täglichen Fußballgeschäft nichts mehr zu tun. Sven Meyer, damals der Libero, verdingte sich später bei Herthas Marketing-Partner Sportfive. Der damalige Trainer Jochem Ziegert ist von der Profimannschaft genauso weit entfernt. Er dient Hertha heute als Co-Trainer der U-15-Mannschaft.

Ansonsten: alle weg. Die Generation Hertha-Bubis hat den Verein nicht nachhaltig geprägt. Christian Fiedler war bis zum Bundesligaaufstieg im Mai der letzte, der dieses Stück Geschichte täglich mit auf den Trainingsplatz gebracht hatte.

Es begann diese Geschichte so unscheinbar, wie sie mit der Entlassung des Torwarttrainers endete. Vor nicht einmal 500 Zuschauern an der Osloer Straße, auf dem Sportplatz, der heute den Namen von Herthas Legende Hanne Sobeck trägt. In der zweiten Pokalrunde, für die sich Herthas Amateure durch einen 1:0-Sieg im Berliner Pokalfinale gegen die Reinickendorfer Füchse und ein anschließendes Freilos qualifiziert hatten. Zu Gast war der badische Verbandsligist  SG Kirchheim. Oliver Holzbecher schoss zwei Tore und Zoran Milinkovic noch ein drittes zum 3:0-Erfolg, der kaum jemanden über Berlin hinaus übermäßig interessierte.

Aber dann wurde es ernst.

In der nächsten Runde traf Hertha auf die erste höherklassige Mannschaft, den Zweitligisten VfB Leipzig. Wieder wurde an der Osloer Straße gespielt, diesmal schon vor gut 1000 Fans. Es war der große Tag des Stürmers Ayhan Gezen, der ein Tor selbst schoss und drei weitere vorbereitete. Herthas Amateure gewannen 4:2. Jetzt waren sie schon im Achtelfinale, wo es gegen Hannover ging. Die Niedersachsen kickten damals zwar nur in der zweiten Liga, reisten aber als aktueller DFB-Pokalsieg nach Berlin - im Finale  hatten sie im Mai 1992 Borussia Mönchengladbach besiegt. Weil die Osloer Straße längst ein bisschen zu klein geworden war, zog Hertha ins Mommsenstadion um. Vor knapp 7000 Zuschauern gab es die nächste Überraschung: Die Amateure lagen schon 0:2 zurück, gingen dann 3:2 in Führung, kassierten noch den Ausgleich, aber drei Minuten vor Schluss traf Andreas Schmidt noch zum kaum mehr erwarteten 4:3-Sieg. Einen Tag später unterlagen Herthas Profis 0:1 in Leverkusen. Die Bubis hatten im Pokal die Machtverhältnisse umgekehrt, und in der Gunst der Öffentlichkeit natürlich auch.

Im Viertelfinale wartete der erste Erstligist. Der 1.FC Nürnberg kam mit Nationaltorhüter Andreas Köpke. 14 000 Zuschauer wollten die Berliner Pokalhelden im Mommsenstadion sehen. Andreas Zimmermann schoss Hertha in Führung, Marcus Bäuerle glich aus, und als alles schon mit einer Verlängerung rechnete, traf Daniel Lehmann in der Schlussminute zum 2:1. Herthas Amateure standen im Halbfinale! Gegen den Zweitligisten Chemnitzer FC, trainiert vom späteren Hertha-Retter Hans Meyer, waren sie schon gar keine richtigen Außenseiter mehr. Diesmal durften die Bubis sogar im Olympiastadion spielen. Hertha begeisterte 56 000 Zuschauer mit Offensivfußball und ging nach frühen Toren von Carsten Ramelow und Sven Meyer als 2:1-Sieger vom Platz.

Das Pokalmärchen war längst geschrieben, aber Märchen haben eben nicht immer ein schönes Ende. Leverkusen tat den Amateuren nicht den Gefallen, im Stile eines routinierten Bundesligisten den Außenseiter zu unterschätzen. Trainer Dragoslav Stepanovic befahl seiner Mannschaft, sie möge sich bloß nicht um die Ästhetik kümmern, es zähle allein der Sieg. Angeführt vom gebürtigen Berliner Andreas Thom hatte Leverkusen das Geschehen zu jeder Zeit im Griff. Hertha kämpfte mit Leidenschaft und hielt bis eine Viertelstunde vor Schluss das 0:0. Dann aber kam Nationalstürmer Ulf Kirsten und drückte den Ball zum Spiel entscheidenden 1:0 ins Tor. Das in  überwältigender Mehrheit den Herthanern zugetane Publikum trauerte, nur die knapp 10 000 Leverkusener Fans jubelten.

Und die Bubis? Steckten die Niederlage weg wie ganze Männer. „Das war irgendwie ein blödes Tor“, fand Carsten Ramelow, und Sven Meyer gab bei aller Enttäuschung  zu, „dass die Leverkusener verdient gewonnen haben, sie hatten schon die feineren Fußballer“. Der feinste von ihnen sollte ein paar Jahre später nach Berlin kommen. Mit Andreas Thom spielte Hertha BSC zu Beginn des dritten Jahrtausends sogar in der Champions League. Aber in die Nähe des Pokalfinales haben es er und seine Kollegen und all die anderen Hertha-Profis in den vergangenen zwanzig Jahren kein einziges Mal geschafft.

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