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Ein Pott-pourri der guten Laune. Bayer Uerdingen gewann als erste Mannschaft in Berlin den Pokal. Spieler Friedhelm Funkel (mit Pokal) machte später auch als Trainer hier Station.

© imago

30 Jahre DFB-Pokalfinale in Berlin: Berlin, Berlin, so feiert nur Berlin

Durchzockte Nächte im Europacenter, die schnellste Maus von Kreuzberg und ein weinender Weddinger – 30 Geschichten aus 30 Jahren Pokalfinale in der Stadt. Die etwas andere Chronik zum Endspiel.

1985: Am Anfang steht ein Kompensationsgeschäft. Das Olympiastadion bekommt das Pokalfinale als Trostpreis dafür, dass der DFB West-Berlin bei der Europameisterschaft 1988 außen vor lässt. DFB-Chef Hermann Neuberger bleibt zur Premiere vorsichtshalber zu Hause. Es heißt, Sicherheitsexperten hätten ihm dringend von einer Reise nach Berlin abgeraten.

1986: Es wird laut und bunt. Der VfB Stuttgart lässt unter seinen Fans 20 000 Plastik-Trompeten verteilen und dazu 25 000 Papierfähnchen mit der Aufschrift „Stuttgart grüßt Berlin“. Der VfB geht mit Pauken und fliegenden Fähnchen unter.

1987: Der Wiener Zampano Ernst Happel kommt zu seiner Abschiedsvorstellung. Nach dem Finale gewährt er dem HSV eine Nacht zur freien Verfügung. Die Spieler trudeln früh am Morgen im Hotel ein und staunen nicht schlecht, als auch der Trainer zu einem Absacker an die Bar kommt – die Taschen voller Geld nach einer durchzockten Nacht in der Spielbank im Europacenter.

1988: Skandal! Eher beiläufig lässt der DFB mitteilen, dass er die Dienste des Berliner Polizeiorchesters nicht in Anspruch nehmen mag. Stattdessen intoniert eine österreichische Trachtenkapelle die Nationalhymne.

1989: Die Politik entdeckt das Finale. Innenminister Wolfgang Schäuble überreicht den Pokal, aber der Star des Abends ist ein alter Berliner Bekannter. Willy Brandt drückt Werder die Daumen und wird spät am Abend beim Bremer Bankett mit Ovationen bedacht.

1990: Ein halbes Jahr nach dem Mauerfall lässt der Senat Zeltdörfer errichten. Hotels und Pensionen und Jugendherbergen sind schon Wochen vor dem Spiel ausgebucht. Berlin fremdelt noch mit seiner neuen Rolle als Metropole.

1991: Der erste Sonderzug erreicht den Bahnhof Zoo um 6:40 Uhr, voll mit Kölnern, die gegen den Hauptstadt-Umzug ansingen. Berlin revanchiert sich bei der abendlichen Rückfahrt vom Stadion. Fragt ein Kölner Fan einen BVG-Chauffeur: „Fahren Sie Zoo?“ – „Nee, Bus!“

1992: Der DFB ist überwältigt vom Erfolg seiner Morgengabe an Berlin. Das Stadion ist zu klein, findet der Verbandssprecher „wir hätten 250 000 Karten verkaufen können.“ Hatte Albert Speer also doch recht mit seiner Vision einer 400 000 Zuschauer fassenden Arena? Dann aber hätte der DFB das Finale nach Nürnberg vergeben.

1993: Leverkusens Ulf Kirsten beendet mit seinem Tor das Märchen der Hertha-Amateure. Weil er sehr ausgelassen feiert, fühlt sich ein Polizeihund provoziert. Ein schneller Antritt bewahrt Kirsten vor schmerzhaften Konsequenzen.

1994: Eberhard Diepgen schwächelt auf der diplomatischen Spielwiese. Vor dem Finale tippt der Regierende Bürgermeister auf einen Bremer 7:1-Sieg gegen das frisch mit dem Lizenzentzug gestrafte Rot-Weiss Essen. Das kommt nicht mal beim Gegner gut an.

1995: Geschichten vom Vorverkauf: Ein Gladbacher bestellt binnen zehn Minuten unter fünf verschiedenen Namen mit identischer Fax-Nummer 50 Tickets. Ein Berliner Gemüsehändler bringt Möhren und Äpfel vorbei, ein Charmeur besticht die zuständige Sekretärin mit einem Pfund Kaffee. Hilft alles nichts.

1996: Der Wedding kommt ins Finale. In Person des Karlsruhers Thomas Häßler, er ist beim Kiezklub Meteor 06 groß geworden. Nach dem Spiel weint er wie beim Mauerfall. Weil Karlsruhe gegen Kaiserslautern verliert.

1997: James Bond stellt seinen Aston Martin vor dem Stadion ab und schwebt dann als Raketenmann mit dem Spielball ein. Mit dem eigens für ihn konzipierten Rocket-Belt hat 007 schon 1965 in „Feuerball“ die Welt gerettet.

1998: Zum ersten Mal geht es mit der S-Bahn zum Finale. Gut acht Jahre nach dem Mauerfall hat die Deutsche Bahn den 1980 stillgelegten Bahnhof Olympiastadion und die Linie Richtung Spandau saniert. Bis dahin hatte die chronisch überfüllte U-Bahn das ungeliebte Monopol auf den Zubringerdienst.

1999: Der Krawall ist sorgfältig geplant. Nord gegen Süd, Werder- gegen Bayern-Fans, unterstützt von einer Delegation des sonst so verhassten Münchner Stadtrivalen 1860. Ein paar Stunden vor Spielbeginn stellen sich beide Seiten an der Schillingbrücke zur Schlacht. 141 Hooligans kommen in Haft.

2000-2014

Ein Pott-pourri der guten Laune. Bayer Uerdingen gewann als erste Mannschaft in Berlin den Pokal. Spieler Friedhelm Funkel (mit Pokal) machte später auch als Trainer hier Station.
Ein Pott-pourri der guten Laune. Bayer Uerdingen gewann als erste Mannschaft in Berlin den Pokal. Spieler Friedhelm Funkel (mit Pokal) machte später auch als Trainer hier Station.

© imago

2000: Seit Jahren wird das Olympiastadion von einem Korsett aus Stahlrohr zusammengehalten. Nach der erfolgreichen Bewerbung für die WM 2006 steht die Sanierung an. Ein letztes Mal steigt das Finale im bröckelnden Stadion, danach wird erst mal eine Baustelle bespielt.

2001: Schon während des Spiels tanzen Fans in bester Laune durch Kreuzberg, sie tragen weder die blauen Trikots von Schalke noch die roten von Union. Türkische Berliner feiern in Schwarz-Gelb die Meisterschaft von Fenerbahce Istanbul.

2002: Schalkes Manager Rudi Assauer feiert den Sieg gegen Duisburg so ausgelassen, dass ihm der Pokal aus den Händen gleitet. Verzogen, verbogen und verbeult erreicht das gute Stück den Trophäenschrank. Die Reparatur kostet Assauer 34 000 Euro.

2003: „Udo Lindenberg... das darf doch nicht wahr sein!“ – „Was denn?“ – „Na, was machen Sie denn bei der Pokalparty des FC Bayern München?“ – „Wieso Bayern München? Ich bin hier als Gast der Telekom. Die haben meine letzte Tour gesponsert. Cooler Laden!“ Hmm, Anarchorocker sind auch nicht mehr, was sie mal waren.

2004: Fertig! Knapp vier Jahre hat der Umbau gedauert, aber was heißt schon Umbau, es war eher ein Abriss mit anschließender Rekonstruktion der alten Fassade. Was zum Finale noch fehlt, ist eine neue Tartanbahn. Sie strahlt künftig in Blau zu Ehren des Hauptmieters Hertha BSC, der im Gegenzug für die nächsten 50 Jahre auf einen Einzug ins Finale verzichtet.

2005: Auf seiner Ehrenrunde hat der FC Bayern unerwartet Gegenverkehr. Horst Köhler kommt den Münchnern zur Pokalübergabe entgegen. Der Bundespräsident winkt mit einer kleinen Schalker Fahne. Passt nicht ganz zur Stimmung.

2006: Erstmals ist die Fußballkanzlerin Angela Merkel in offizieller Mission zugegen. Bei der Siegerehrung des Frauenfinales kommt es zu einem protokollarischen Problem: Es stehen zwar Schirmhalterinnen für Frau Merkel bereit, die Spielerinnen von Turbine Potsdam bleiben aber im Regen. Stört sie nicht weiter nach dem 2:0 gegen den 1. FFC Frankfurt.

2007: Um 1.24 Uhr ist auch der letzte heikle Nachtordnungspunkt überstanden: Günther Oettingers Grußwort. Ein paar Wochen zuvor hat Baden-Württembergs Ministerpräsident eine Lobeshymne auf seinen NSDAP-belasteten Vorvorgänger Hans Filbinger gehalten. Wird er ihm jetzt posthum die Ehrenmitgliedschaft des VfB Stuttgart antragen? Oettinger fasst sich kurz und wünscht nur eine gute Nacht. Aufatmen im Saal.

2008: Ein riesiges Spruchband in der Dortmunder Kurve verkündet: „Träumt einer, ist es ein Traum. Träumen viele, ist es der Beginn von etwas Großem.“ Ein paar Wochen später tritt Jürgen Klopp seinen Dienst an und in Dortmund beginnt die Zeit des Träumens.

2009: Das Magazin „11 Freunde“ bittet zur Party auf den Fußballplatz an der Kreuzberger Wrangelstraße. Den Wettlauf der Maskottchen gewinnt die blaue Maus „Holli“ vom SC Paderborn. Vor einer Woche ist die Maus in die Zweite Bundesliga abgestiegen. Schade eigentlich.

2010: Da kommt Hertha BSC schon mal ins Finale, und dann das! Regen. Zu viel Regen, als dass die Berliner A-Jugend den olympischen Rasen hätte beackern dürfen. Das Spiel wird ins benachbarte Amateurstadion ausgegliedert.

2011: Klaus Wowereit lädt zur offiziellen Pokalübergabe ins Alte Stadthaus. Aus München kommt Paul Breitner und behauptet generös, „dass der Pokal ein echter Berliner ist“. Schade, dass der Pokal nichts davon weiß und Jahr für Jahr in der Fremde herumstreunt.

2012: Die feiernden Dortmunder nehmen spontan Bundespräsident Joachim Gauck mit aufs Siegerfoto. Gauck ist zwar parteilos, war aber nicht gerade Angela Merkels Wunschkandidat. Die Kanzlerin schaut aus der zweiten Reihe zu.

2013: Zur Pokalübergabe schaut auch Herthas Manager Michael Preetz im Roten Rathaus vorbei. Sicher ist sicher, und wer weiß, wann er der edelsteinbestückten Monstervase mal wieder so nahekommt. Hertha hatte sich mal wieder in der ersten Runde verabschiedet.

2014: Später am Abend bolzt der Münchner Dante einen Dortmunder Kopfball zurück ins Spiel, obwohl der deutlich die Torlinie überschritten hat. Alle Zuschauer sehen das auf ihren Smartphones, nur dem Schiedsrichter bleibt der Fernsehbeweis qua Regel verwehrt. Das hat Folgen. Heute gibt die Torkamera ihre Premiere im deutschen Fußball.

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