zum Hauptinhalt

50 Jahre Mauerbau: Herthas Punkte-Teilung

Am 13. August 1961 wollen die Berliner spielen, doch die Mauer wird gebaut. Ticketverkäufer aus dem Osten fehlen ebenso wie Mittelstürmer Klaus Taube

Auf dem Wacker-Platz in Reinickendorf herrscht am 13. August 1961 große Unruhe. Überall fehlen Ordner, auch die Straßenhändler aus Ost-Berlin, die sonst das „Berliner Fußball-Programm“ verkaufen, sind nicht auffindbar. Es ist schon kurz nach eins, und auch die Mannschaft von Hertha BSC, die hier zum Meisterschaftsspiel gegen Wacker 04 antritt, ist nicht vollzählig. Alle warten auf Mittelstürmer Klaus Taube. Die fußballerischen Fähigkeiten des Ost-Berliners, der seit 1951 für Hertha kickt, sind gegen Wacker 04 besonders gefragt. Mit seiner Schnelligkeit und Gewandtheit soll er die starke Abwehr der Gastgeber knacken.

Der 1935 in Breslau geborene Klaus Taube verbrachte seine Kindheit in Ost-Berlin. Als er 1949 eine Lehrstelle bei AEG im Westteil der Stadt antritt, macht der Jugendfußballer vom VfB Friedrichshain erste Erfahrungen mit dem Grenzgänger-Alltag in der geteilten Stadt. Er will auch im Westen Fußball spielen. Viele Talente träumen wie er davon, als Vertragsspieler West-Berliner Meister zu werden und dann im Olympiastadion um die deutsche Meisterschaft zu spielen. Der DDR-Bürger Klaus Taube wird 1951 Mitglied bei Hertha BSC und gehört schon ein Jahr später zur ersten Mannschaft.

Hertha BSC versucht trotz der Teilung, für seine Ost-Berliner Anhänger und Mitglieder offen zu bleiben. In Scharen strömen die Zuschauer aus dem benachbarten Prenzlauer Berg regelmäßig auf den Hertha-Platz „Plumpe“ am Gesundbrunnen, sie drängen sich an die „Ostmark-Kassen“ des Stadions. Da helfen auch die Spiele des Armeevereins Vorwärts Berlin im benachbarten Jahn-Sportpark in Ost-Berlin wenig, die die DDR-Funktionäre parallel ansetzen. Vor allem wird Hertha, beheimatet unmittelbar an der Sektorengrenze, zum Auffangbecken von geflüchteten Fußballern und Sportgrenzgängern. Es winken Einkünfte in Westmark und attraktive Reisen mit der Stadtauswahl West-Berlins. Das kann der damals noch leistungsschwache und politisch isolierte DDR-Fußball nicht bieten. Auch deshalb schließt sich Taube der Hertha an.

Die Karriere des schnellen Stürmers entwickelt sich rasant: Der Amateur-Meisterschaft mit der Hertha 1955 folgen Einsätze in der West-Berliner Stadtauswahl. 1956 unterzeichnet er den begehrten Lizenzspielervertrag bei Hertha und wird 1957 und 1961 Berliner Meister. Klaus Taube hat bis zu diesem Zeitpunkt Stockholm, Reykjavik und Oslo gesehen und 1960 als DDR-Bürger gegen den brasilianischen Star Pelé im Olympiastadion gespielt. Die Träume von der Deutschen Meisterschaft bleiben jedoch unerfüllt. Hertha kommt über die Vorrunde nicht hinaus. Im Juni 1961 scheitert Taube mit Hertha in der Vorrunde an Werder Bremen im Olympiastadion. Nun soll ein neuer Anlauf auf die Berliner Meisterschaft folgen – im Spiel gegen Wacker.

Klaus Taube fährt wie gewohnt mit dem Fahrrad aus Pankow kommend in Richtung Wollankstraße. Am Grenzübergang muss er seine Sporttasche abstellen. Überall herrscht Unruhe. Viele Neugierige in Ost und West sammeln sich am Grenzübergang. Die S-Bahn-Eingänge sind gesperrt. „Alles war dicht“, erinnert sich Taube. „Warten hatte irgendwann keinen Sinn mehr.“ Ein Versuch, die Hertha-Geschäftsstelle telefonisch zu erreichen, scheitert ebenfalls – die Leitungen sind gekappt. Klaus Taube kehrt um.

Auf dem Wacker-Platz rückt der Anpfiff näher. Langsam wird es gewiss: Die Mannschaft muss ohne Taube auskommen. Wie die West-Berliner „Fußballwoche“ berichtet, „musste Hertha improvisieren, weil drei Spieler aus dem Ostsektor beheimatet sind und nicht kommen konnten“. Die Schwächung hinterlässt Spuren. Herthas Angriffstaktik ist einfach auszurechnen. Nur ein enttäuschendes 0:0 erspielt sich der Berliner Meister. Auch Klaus Heuer, der Ersatz für Taube, ist mit seinen Gedanken woanders. Er „kam zwei Stunden vor dem Spiel von der Mutter aus dem Ostsektor und hat seine junge Frau drüben lassen müssen. Seine Leistung sollte man deshalb nicht allzu kritisch beurteilen“, schreibt Fuwo-Reporter Hans Uhlich. Er resümiert, dass die „besonderen Umstände des Tages sich zwangsläufig auf die Leistung auf dem Spielfeld auswirkten“.

Zwei Wochen später wird das volle Ausmaß der sportlichen Teilung deutlich: Auf einem außerordentlichen Verbandstag, den der West-Berliner Verband Berliner Ballspielvereine nach dem Mauerbau einberuft, zählt man schmerzliche Verluste: Von den im Ostsektor wohnenden Verbandsmitgliedern werden 1105 als fehlend gemeldet. Die stärksten Einbußen beklagen Alemannia 90 (228), Union 06 (113), Hertha BSC (95) sowie Tennis Borussia (87). Und auch die Spieler leiden.

Klaus Taube muss schriftlich seinen Austritt bei Hertha BSC erklären, um überhaupt weiter Fußball spielen zu dürfen. Die Ost-Berliner Fußball-Hochburgen Dynamo und ASK Vorwärts bleiben für ihn jedoch tabu, in der Presse werden ehemalige Sportgrenzgänger als „kriminell und arbeitsscheu“ diffamiert. Seine neue sportliche Heimat findet Taube bei Lichtenberg 47 und später bei Einheit Pankow, wo er bis 1974 Spieler und Trainer ist.

Bis heute lebt er als Rentner in Pankow. Seine Hertha-Kollegen durfte Klaus Taube fast drei Jahrzehnte nicht mehr wiedersehen.

Jutta Braun und René Wiese leiten das Zentrum für Deutsche Sportgeschichte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false