zum Hauptinhalt

Sport: 65 Millionen Fans mehr

Von Thomas Seibert Istanbul. Die Mannschaft von Rudi Völler hat kurz vor dem Finale gegen Brasilien rund 65 Millionen Fans hinzugewonnen – die ganze Türkei nämlich steht hinter den Deutschen.

Von Thomas Seibert

Istanbul. Die Mannschaft von Rudi Völler hat kurz vor dem Finale gegen Brasilien rund 65 Millionen Fans hinzugewonnen – die ganze Türkei nämlich steht hinter den Deutschen. Die Türken haben das WM-Finale verpasst, dafür sollen nun wenigstens die Deutschen siegen. „Mit den Deutschen fühlen wir uns eben enger verbunden, was habe ich mit Brasilien zu tun“, sagt stellvertretend ein Kleinhändler in Istanbul.

Die besondere Nähe zu den Deutschen, die viele Türken spüren, hat Tradition. Neu ist aber das türkische Gefühl, mit der lange bewunderten Fußball-Großmacht in Europa auf einer Stufe zu stehen: Die Teilnahme ihrer Mannschaft am WM-Halbfinale hat die Weltsicht der Türken verändert. Auch ihr Land zählt nach seiner ersten WM-Teilnahme seit 48 Jahren zu den großen Fußball-Nationen – das wurde ihnen sogar offiziell von der Fifa bescheinigt: Drei türkische Spieler finden sich im All-Star-Team des Weltverbandes, genauso viele, wie aus dem deutschen Team berufen wurden. Nur Brasilien stellt mehr Stars.

Da fällt es den Türken leicht, den deutschen Finalisten gute Ratschläge zu geben. „Wir haben gut gespielt gegen die Brasilianer, aber trotzdem verloren“, sagt ein türkischer Fan in Istanbul mit der eigentümlichen Mischung aus Stolz und Enttäuschung, die auch zwei Tage nach dem verlorenen Halbfinale noch über dem Land liegt. „Die Deutschen müssen aufpassen: Bei Kombinationen am Boden sind die Brasilianer sehr stark, die Deutschen sollten deshalb hohe Bälle spielen." Selbst aus der türkischen Politik kommt Unterstützung für Völlers Elf. „Ich bin auch für Deutschland“, sagt Bülent Akarcali, Vizechef der konservativen Koalitionspartei ANAP. „Im Halbfinale gab es ja nur noch zwei europäische Mannschaften – Deutschland und die Türkei. Und die Türken betrachten sich als Europäer.“ Hinzu kommt auch für Akarcali das besondere deutsch-türkische Verhältnis: „Die Türken in Deutschland werden den Deutschen die Daumen drücken, die Verwandten der Deutschland-Türken in der Türkei und die meisten anderen Türken auch." Gegen diese Verbundenheit hat auch die verführerische Überlegung keine Chance, dass die Türkei bei einem brasilianischen Finalsieg nur vom Weltmeister geschlagen worden wäre.

Bevor sich die Türken den Deutschen widmen, ist am Samstag aber erst einmal ihre eigene Mannschaft im Spiel um Platz drei gegen Südkorea an der Reihe. Doch um deren Moral scheint es nicht zum Besten bestellt zu sein. Der Chef des türkischen Fußballverbandes, Haluk Ulusoy, habe sich nach dem Brasilien-Spiel in der Mannschaftskabine bemühen müssen, eine völlig niedergeschlagene Truppe wieder aufzurichten, berichten die Zeitungen. Nationaltrainer Senol Günes verspricht den Fans trotzdem den Sieg.

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false