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Martin Kind, 68, ist Eigentümer und Geschäftsführer der Kind-Hörgerätegruppe und Präsident von Hannover 96. Zeit zum Verschnaufen findet er auch beim Tennis keine. Will er auch nicht.

© dpa

96-Präsident Martin Kind im Interview: „Ich rufe ihn nur selten an“

Martin Kind, Präsident von Hannover 96, über die elfwöchige Auszeit seines Sportdirektors Jörg Schmadtke, den ersten Teilzeit-Führungsjob in der Fußball-Bundesliga – und seine 15 Stunden Arbeit täglich an sieben Tagen in der Woche.

Von Benjamin Apitius

Herr Kind, Sie haben Ihrem Sportdirektor Jörg Schmadtke eine elfwöchige Auszeit bis zum 10. September mit anschließender Halbtagsbeschäftigung bis Jahresende ermöglicht. Ist also Herr Schmadtke unersetzbar in Hannover?

Nein, das ist er nicht. Jeder von uns ist zu ersetzen. Und das ist auch gut so.

Dann war es ein Freundschaftsdienst?

Nein, wir sind nicht befreundet.

Was war dann der Grund Ihres Handelns?

Sehen Sie, ich trage die volle Verantwortung für den Verein. Und Jörg Schmadtke steht zusammen mit Trainer Mirko Slomka für den sportlichen Erfolg der letzten Jahre. Ich wollte ihn also unter keinen Umständen verlieren. Er ist für mich ein sehr wichtiger Partner geworden bei der Entwicklung von Hannover 96.

Was haben Sie denn gedacht, als Jörg Schmadtke im April wegen nicht näher beschriebenen „privaten Problemen“ seinen Vertrag als Sportdirektor auflösen wollte?

Mich traf sein Wunsch ziemlich unvorbereitet. Ich war mehr als überrascht. Er war gedanklich schon sehr stark darauf ausgerichtet, dass er das Arbeitsverhältnis beendet, um Zeit für sich und seine Familie zu gewinnen. Auf der einen Seite hatte ich menschlich größtes Verständnis für seine Situation. Auf der anderen Seite war ich aber auch ein wenig irritiert. Denn so einfach den Vertrag aufzulösen, er ist ja bei 96 auch Geschäftsführer Sport, das ging natürlich nicht.

Was war Ihr Plan, nachdem Schmadtke seinen Rückzug angekündigt hatte?

Meine Überlegungen waren, wie ich ein Modell entwickeln kann, das beides zusammenführt: dass er hier weiter tätig ist und auch die Zeit bekommt, seine persönlichen Dinge zu ordnen.

Die Verhandlungsmasse war in diesem Fall also nicht Geld – sondern Zeit.

Ja, das habe ich so zum ersten Mal erlebt.

Und dann wurde gefeilscht um Stunden, Tage, Wochen?

Für mich war es wichtig, dass ich ihm umfassend Verständnis signalisiere und auch Vertrauen schenke – für seine Bedeutung bei 96 und für die Zukunft. Und ich glaube, es war genau dieser Mix, der bei ihm zu einem Umdenken geführt hat.

Für wie außergewöhnlich halten Sie selbst Ihre Übereinkunft?

Ich will das alles nicht überhöhen. Ich bin ein Pragmatiker des Lebens. Ich wollte wirklich helfen, weil ich die Probleme von Jörg Schmadtke nachvollziehen kann. Aber auf den zweiten Blick war ich egoistisch, weil ich diesen Mann unbedingt hierbehalten wollte.

Nun ist er trotzdem erst einmal weg. Wie hart trifft den Verein seine Abwesenheit in den nächsten Wochen?

Nicht hart. Und zwar deshalb nicht, weil die Auszeit erst begonnen hat, als alle Entscheidungen, die wir für die nächste Saison vereinbart hatten, umgesetzt waren. Und wenn ich doch mal einen Rat von ihm brauche, dann kann ich ihn natürlich auch jetzt noch anrufen. Ich will alle Entscheidungen in seinem Sinne treffen und operativ umsetzen. Aber die Anrufe reduziere ich auf wenige Male. Er soll seine Auszeit wirklich bekommen.

Würden Sie jedem Ihrer Mitarbeiter einen solchen Freiraum verschaffen?

Ich bin vom Ansatz her ein sehr sozialer Mensch. Ich nehme Verantwortung gegenüber Menschen sehr ernst. Ihre Frage kann ich aber nur differenziert beantworten. Exemplarisch hatten wir das Problem – zum Glück, weil er sein Erschöpfungssyndrom frühzeitig öffentlich gemacht hat – mit unserem Torwart Markus Miller. Wir haben in seinem Fall in dem Rahmen einer anderen Anforderungsstruktur genauso reagiert und entschieden. Und ich kann mir das auch bei anderen Mitarbeitern vorstellen, temporär eine individuelle Lösung zu vereinbaren.

Ist dieser sensible Umgang mit Ihren Mitarbeitern eine Hinterlassenschaft von Robert Enke?

Aus dieser Tragödie haben wir alle gelernt. Robert Enke hat uns die menschlichen Schwächen und die Verantwortung, die wir haben, noch einmal deutlich dargestellt. Es hat mich verrückt gemacht, dass man glaubt, einen Menschen zu kennen und ihm doch nicht genügend Vertrauen vermitteln konnte, dass er sich öffnet. Dass man vielleicht eine Chance gehabt hätte, ihm zu helfen.

Sie sagten, Sie können die Umstände von Herrn Schmadtkes Entscheidung nachvollziehen. Haben Sie sich auch einmal nach einer solchen Auszeit gesehnt?

Nein, gar nicht. Ich habe das Glück, dass ich unglaublich belastbar bin und Arbeit als große Freude empfinde. Und so habe ich es geschafft – durch die zusätzliche Verantwortung im Fußball –, dass ich die Sieben-Tage-Woche erreiche und jeden Tag zwölf bis fünfzehn Stunden arbeite.

Wie bitte?

Ich bin ein Sonderfall in dieser Beziehung, ich weiß. Aber ich befinde mich damit für mich auf der Sonnenseite des Lebens: Ich kann gestalten, ich kann entscheiden, ich kann Prozesse und Ziele definieren. Ich bin mit meiner Situation vollkommen im Reinen, und ich habe mit meiner Familie deswegen keine Probleme. Das passt bei mir zufällig sehr gut.

Was bleibt Ihnen nach einem 15-Stunden-Tag an Freizeit?

Für mich ist es unheimlich wichtig, meine Zeit effizient zu planen und auch zu nutzen. Die wenige freie Zeit, die ich habe, versuche ich zusammen mit meiner Frau dafür zu nutzen, um persönliche Freundschaften zu pflegen. Denn wenn man älter wird, ist es gut, wenn man noch ein paar gute, tragfähige Freundschaften hat.

Herr Kind, während Ihrer 14-jährigen Amtszeit in Hannover gab es sieben verschiedene Sportdirektoren. Warum ist es so schwierig gewesen, einen wie Jörg Schmadtke zu finden, den Sie nun fast nicht mehr gehen lassen wollen?

Ich hatte keine Ahnung von Fußball, als ich angefangen habe bei 96. Ich musste also erst einmal sehr viel lernen über das Fußballgeschäft, das viele Besonderheiten aufweist gegenüber der Realwirtschaft. Doch den Mut zu Entscheidungen, den hatte ich schon immer. Und wenn ich von einer Sache überzeugt war, beispielsweise einen Sportdirektor zu entlassen, dann habe ich das gemacht. Ich kann gar nicht gegen meine Überzeugung handeln. Aber ich habe immer die volle Verantwortung für meine Entscheidungen übernommen. Und die waren ja nie ganz falsch, wir haben unsere Ziele immer erreicht.

Dann lernten Sie Jörg Schmadtke kennen.

Er ist für mich die beste Erfahrung, die ich bisher im Fußball gemacht habe. Herr Schmadtke ist ein sehr konstruktiver Mensch, ein sehr selbstbewusster Gesprächspartner – und das hilft mir sehr und bringt uns voran.

Sprechen Sie denn eine gemeinsame Sprache, wenn es um die Entwicklung einer Marke geht – also um Ihr Kerngebiet?

Natürlich. Wir professionalisieren gemeinsam die Strukturen, und wir versuchen, unseren Mitarbeitern und Spielern deutlich zu machen, dass wir diese Verantwortung vollumfänglich annehmen – nicht nur verbal, sondern auch inhaltlich.

Und verstehen Sie Ihren Sportdirektor, wenn er von einem Spieler wie Hiroki Sakai schwärmt? Oder sind Sie immer noch ein Fußballlaie?

Ich mache den Job jetzt schon für so lange Zeit und habe mich mit vielen unterschiedlichen Trainern und Sportdirektoren auseinandersetzen müssen. Und ich habe heute den Mut zu sagen, dass ich 75 bis 80 Prozent von dem verstehe, was mir Herr Schmadtke sagen will, und ich ihm auch relativ vernünftige Fragen stellen kann.

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