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Sport: Abfahrt des Präsidenten

Gerd Niebaum tritt bei Borussia Dortmund zurück – Vorgänger Rauball soll sein Nachfolger werden

Zunächst war wieder einmal vieles undurchsichtig geblieben beim einzigen an der Börse notierten Fußballklub Deutschlands. Borussia Dortmunds Aufsichtsratschef Winfried Materna wollte am Sonntagmittag bestätigen, dass der Aufsichtsrat des Vereins am Nachmittag zusammenkommen wolle – allerdings nur mit „51 Prozent Wahrscheinlichkeit“. Da freilich waren alle schon unterwegs zur Sitzung im Vereinshotel Lennhof in Dortmund; Materna fuhr in seiner schwarzen Limousine vor. Als sich schließlich die Vereinsführung am späten Nachmittag auf den Heimweg machte, gab es eine gesicherte Neuigkeit: Gerd Niebaum tritt als Präsident von Borussia Dortmund zurück. Materna tat es ihm gleich.

Der 55 Jahre alte Niebaum, der dem Verein seit 18 Jahren vorstand und ihn zwischenzeitlich in die europäische Spitze führte, schlug selbst seinen Vorgänger Reinhard Rauball als Nachfolger vor. Rauball, wie Niebaum promovierter Jurist, übernimmt auf Wunsch der Geschäftsleitung ab sofort den Bereich Profifußball. In zwei Amtszeiten hatte er einst den Klub sieben Jahre lang geführt.

Niebaum, der wegen seiner Schuldenpolitik unter Druck geraten war, bleibt Geschäftsführer der Borussia Dortmund GmbH & Co. KGaA. Auf der Mitgliederversammlung am 14. November wird seine Entmachtung offiziell vollzogen. „Wir werden den Konsolidierungsplan für den Verein vorantreiben“, sagte Niebaum am Abend. „Es gibt viel zu tun.“

Der Anfang vom Ende Niebaums war die Bilanz-Pressekonferenz, bei der Dortmunds Chef ein im nationalen Profifußball bis dato nicht gekanntes Minus vermelden musste: der Konzernverlust von 67,7 Millionen Euro im Geschäftsjahr 2003/2004 ließ die Gesamtverbindlichkeiten auf desaströse 118,8 Millionen Euro hochschnellen, zudem wurden „weitere finanzielle Verpflichtungen“ von 363 Millionen Euro bekannt gegeben.

Niebaum, dessen Mannschaft am Vortag mit 0:2 beim VfB Stuttgart verloren hatte, musste sich am Sonntag neuer Vorwürfe wegen seiner Amtsführung erwehren. Der „Spiegel“ veröffentlichte neue Details, die den Vereinschef in Bedrängnis brachten. Niebaum soll demnach private finanzielle Interessen mit dem Klub verquickt haben. Beim Transfer von Karlheinz Riedle von Lazio Rom soll es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein.

Auch Geschäftsmann Florian Homm, der 30 Prozent der BVB-Aktien hält, hatte am Wochenende seine Angriffe wiederholt. Indirekt forderte er die Aufsichtsratsmitglieder auf, Niebaum das Misstrauen auszusprechen. „Ich hoffe ernsthaft, die Gremiumsmitglieder sind sich ihrer Verantwortung für 32 000 BVB-Mitglieder und 60 000 Aktionäre bewusst“, sagte Homm.

In der abgelaufenen Woche hatte Niebaum einräumen müssen, die Öffentlichkeit belogen zu haben. Die „Süddeutsche Zeitung“, die „Ruhr-Nachrichten“ und der „Kicker“ hatten ein Fax präsentiert, auf dem Niebaum seinen Rücktritt für 2006 fixiert hatte. Zudem soll es Absprachen mit Homm gegeben haben, Mitarbeitern aus dessen Firma Posten in den Aufsichtsgremien in Dortmund zuzusichern. Das verstieße gegen Statuten der Deutschen Fußball-Liga. Niebaum hatte behauptet, ein derartiges Papier existiere nicht – das aber stimmte nicht.

Nicht nur wirtschaftlich schlingert der BVB seit längerem am Abgrund. Mit blassen Gesichtern und einer schwachen Leistung quittierten die Profis aus Westfalen das Chaos in ihrem Klub. „Wir reden in der Kabine darüber, das belastet uns alles“, sagte Tomas Rosicky nach dem 0:2 in Stuttgart. „Das verfolgt uns jeden Tag, jede Minute“, sagte Trainer Bert van Marwijk. Die acht Punkte aus acht Spielen lesen sich fast so erschütternd wie die Bilanz Niebaums. In die Niederlage fügten sich die Profis am Samstag ohne Gegenwehr. Zudem fällt auch noch der Brasilianer Evanilson mit einem Teilriss des Innenbandes bis zu vier Monate aus.

Der Einzige, der engagiert für die Borussia und Gerd Niebaum kämpfte, war ein Stuttgarter: Matthias Sammer. Der Trainer des VfB und ehemalige Coach der Dortmunder ist mit Niebaum und dessen Familie befreundet. „Das ist eine Hetzjagd“, schimpfte Sammer. Er wäre noch gerne Trainer in Dortmund, sagte Sammer. Ein schwacher Trost für die Borussia-Fans. Und für Gerd Niebaum.

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