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Sport: Abgründe am Valznerweiher

Gesprächsbedarf gäbe es in Nürnberg genug, aber es gibt niemanden, der sprechen will. Wer zurzeit beim 1.

Gesprächsbedarf gäbe es in Nürnberg genug, aber es gibt niemanden, der sprechen will. Wer zurzeit beim 1. FC Nürnberg in der Sache Geenen anruft, wird abgewimmelt. "Herr Geenen hat zu dem Thema alles gesagt", sagt Nürnbergs Vereinssprecherin Kerstin Dankowski über den Sportdirektor, der aus der Rolle fiel und seine Spieler auf das Übelste beleidigte. Der Club lässt alte Chaoszeiten wieder aufleben. Dabei sollte genau das verhindert werden.

Noch am Montag nach der 1:2-Heimniederlage gegen Borussia Mönchengladbach sah es so aus, als habe sich in Nürnberg tatsächlich etwas verändert. Trainer Klaus Augenthaler gelobte in einer Sendung des Bayerischen Rundfunks, er werde jetzt nicht in Panik verfallen und wolle seine Politik der ruhigen Hand fortsetzen, was angesichts der Tabellensituation überraschte. Einen Punkt holten die Franken aus den letzten vier Heimspielen, nach zwei Siegen aus zehn Spielen steht der Club auf dem letzten Platz. Die Statistik verheißt nichts Gutes: In den letzten drei Spielzeiten stieg das Schlusslicht des zehnten Spieltags immer ab.

Einen Tag danach war es mit der Besonnenheit endgültig vorbei, als es in Nürnberg zu einer der in Form und Inhalt merkwürdigsten Krisenreaktionen der Bundesligageschichte kam. Der Spieler Sven Günther mahnte danach, man dürfe nicht vergessen, dass auch Fußballer Menschen seien und Familien hätten. Am Dienstag hatten Augenthaler und Sportdirektor Edgar Geenen der Mannschaft mitgeteilt, die Spieler Hobsch, Ogungbure, Leitl, David, Günther, Bergner und Störzenhofecker würden ab sofort getrennt im so genannten B-Kader trainieren. Die Rückkehr in die Startelf, so sagte Geenen, sei so schwierig wie der Weg "von der Sonderschule auf das Gymnasium". Die angeblich mit dem Mannschaftsrat beschlossene Maßnahme wurde damit begründet, die Betroffenen seien "Stinkstiefel" und würden nur Unruhe im Team stiften. Bei seiner Ansprache vergriff sich Geenen dann in einer Art im Ton, die in Abgründe blicken lässt, die tiefer sind als jeder Tabellenkeller. Von "Erschießen" und "Verprügeln" soll die Rede gewesen sein, von "Seuchenvögeln", "Abschaum", "Dreck" und "Lepra".

Der Sportdirektor hat dies bis gestern weder dementiert, noch hat er sich dafür entschuldigt. Geenen, dessen professionelle Arbeit sowohl in Nürnberg als auch bei seinem ehemaligen Arbeitgeber 1860 München gelobt wurde, scheint einen Selbstzerstörungsmechanismus eingebaut zu haben. 1860 musste er verlassen, weil der Manager ein Verhältnis mit Angela Häßler, der Frau des Spielers Thomas Häßler, angefangen hatte.

Ob die Suspendierungsaktion dem Club aus der Krise helfen kann, ist fraglich. Zunächst war sie in Sachen Ruhe im Abstiegskampf schädlich. Die Spielergewerkschaft und die Nürnberger Stadtoberen fordern wahlweise eine Entschuldigung oder Geenens Rücktritt. Gestern meldete sich sogar das Deutsche Aussätzigen-Hilfswerk zu Wort. Geenens Verbalattacke sei "eine durch nichts zu entschuldigende, böse Entgleisung". Sie sei eine "Diskrimierung von Kranken, die nach Jahrhunderten der Ausgrenzung und Erniedrigung endlich eine Chance auf ein Leben in Würde haben". Die Ausgemusterten selbst drohen mit rechtlichen Schritten gegen Geenens Beleidigungen. Zusätzlich könnte die Affäre Geenen teuer werden. Denn der Hauptsponsor, der Personaldienstleister Adecco, droht dem Verein mit dem vorzeitigen Ausstieg aus dem Vertrag. "Wir wollen mit solchen Äußerungen nicht in Verbindung gebracht werden. Sollte der Verein keine vernünftige Regelung finden, müssen wir unser Engagement überdenken", sagte Manfred Wick, der Geschäftsführer des Unternehmens, dem "Funkhaus Nürnberg".

An den tieferen Ursachen der Nürnberger Krise geht die Suspendierung der Spieler ohnehin vorbei. Auch an der offensichtlichen Verunsicherung der Mannschaft dürfte sich wenig geändert haben. Genau genommen ist die Club-Krise nämlich älter als die laufende Spielzeit. Nachdem die Mannschaft die Zweite Liga in der Aufstiegssaison mit erstklassigem Fußball zunächst dominiert hatte, geriet sie im Frühjahr seltsam ins Trudeln, und nur eine kurze Siegesserie im Sommer rettete den Aufstieg. Die Vorbereitung unterbrach die Krise, behoben wurde sie nicht. Augenthaler stellte sich zwar die meiste Zeit mit einer Sensibilität vor die Mannschaft, die man dem raubeinigen Weltmeister nicht zugetraut hätte. Doch es ist eher unwahrscheinlich, dass die Spieler, die im Trainingslager vor dem Spiel gegen Hertha BSC (Sonntag, 17.30 Uhr) vom Trubel rund um den heimischen Valznerweiher fern gehalten werden, sicherer auftreten, wenn sie mit Suspendierung und Beleidigungen rechnen müssen. Dabei könnten sie beim kommenden Gegner Anschauung in Sachen Abstiegsvermeidung nehmen: Im Herbst 1997 stand Hertha auch auf dem letzten Platz. Die Berliner konnten damals die Klasse halten und qualifizierten sich im Jahr darauf für die Champions League.

Heinrich Geiselberger

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