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Sternstunde in Paris. 2012 gewann Wiggins die Tour de France.

© dpa

Abschied nach Paris–Roubaix: Bradley Wiggins: Die Koteletten der Nation

Englands erster Toursieger Bradley Wiggins bestreitet an diesem Sonntag beim Klassiker Paris–Roubaix sein letztes Rennen als Straßenradfahrer.

Bradley Marc Wiggins hat sich zum Abschied ein wenig älter gemacht. Optisch. Der Mann trägt, was Mann heute wieder trägt, nämlich Bart. Das wirkt männlich und reif und das muss man wohl auch sein, wenn man eine Quälerei wie Paris–Roubaix zu seinem Lieblingsrennen erklärt. Bei diesem Radsport-Monument will der Vater zweier Kinder heute seine Karriere als Straßenfahrer beenden (ab 12.45 Uhr live auf Eurosport). Mit 34 Jahren und als erster britischer Sieger der Tour de France. 253 Kilometer warten auf ihn, davon 53 auf Kopfsteinpflaster, die ihn schütteln werden, als gäbe es kein Morgen. „Wiggo“ hätte sich bequemer verabschieden können, aber der Mann gilt als Sammler, zu Hause hortet er Gitarren, Mopeds, alte Schuhe und belgisches Bier. Jetzt möchte der Ritter seiner Majestät noch die Erfahrung sammeln, die größte Ein-Tages-Herausforderung im Radsport zu bestehen. Zusammen mit dem Deutschen John Degenkolb gilt er als Favorit.

Begonnen hatte die Abdankung des englischen Radkönigs allerdings bereits vor drei Jahren und das ausgerechnet auf dem Weg zu seinem größten Erfolg. Tour de France 2012, Bergetappe nach La Toussuire: Bradley Wiggins fährt im Gelben Trikot, vor ihm sein Helfer Chris Froome, der sichtbar genervt ist, weil er schneller fahren könnte. Plötzlich tritt er an und lässt seinen Kapitän stehen. Über Funk pfeifen sie ihn zurück, Froome gehorcht, aber allen ist klar, wer der Bessere am Berg ist. Ein paar Tage später wird Bradley Wiggins in Paris zum ersten britischen Toursieger gekürt, die Insel bebt im Radfieber, der dürre Mann, der aussieht wie einst The-Who-Gitarrist Pete Townshend, ist am Ziel. Aber irgendwie auch nicht.

Bradley Wiggins ist nach 2012 nie mehr die Tour de France gefahren

Ein paar Wochen später setzt sich Wiggins bei den Olympischen Spielen in London dann endgültig die Krone auf. Auf einem riesigen Thron vor dem alten Königssitz Hampton Court Palace nimmt er die Huldigungen nach seinem Sieg im Zeitfahren vor dem Deutschen Tony Martin entgegen, später wird er auch noch zum Ritter geschlagen. Die Engländer kleben sich Wiggins-Koteletten an die Wangen. Trotzdem wird er nicht so richtig glücklich, vor allem nicht mit dem größten Rennen der Welt. Heute sagt er über die Tour: „Ich habe sie gehasst, den ganzen Rummel, die ewigen Fragen nach Armstrong, das ganze Doping-Theater.“ Bradley Wiggins ist nach 2012 nie mehr die Tour de France gefahren.

Jetzt soll Schluss sein auf der Straße, mit einem letzten großen Hurra bei einem Rennen, das einige wie ihn fasziniert und das viele andere so angenehm empfinden wie eine Zahnwurzelbehandlung. Eine üble Schüttelei, die obendrein mit einem gewaltigen Sturzrisiko behaftet ist. Und Glück braucht man auch, um in den entscheidenden Situationen ohne Defekt durchzukommen. „Aber das ist der wahre Radsport“, schwärmt Wiggins, den Paris–Roubaix seit jeher begeistert und der zu Hause etliche Videokassetten mit Rennen von früher hat.

Für Wiggins ist ein Sieg bei Paris–Roubaix größer als bei der Tour de France

Auf die aktuelle Ausgabe hat sich der Neunte des Vorjahres akribisch vorbereitet. Im Winter ist er dreimal bei schlechtem Wetter Teile der Strecke abgefahrenem, gegenüber seinem Toursieg hat er gut sieben Kilo Gewicht zugelegt. Bei Paris–Roubaix geht es nicht darum, als Leichtgewicht Berge hochzufliegen, sondern im Sattel zu bleiben. Wiggins will den Sieg, sein Team Sky wird ihm dabei helfen. „Für mich wäre dieser Sieg größer als der Tour-Erfolg“, sagt er. Eine eigenwillige Einschätzung, die er so erklärt: „Dieses Rennen wird nicht mit Doping in Verbindung gebracht.“

Das stimmt wohl eher nicht. Der Belgier Johan Museeuw, dreifacher Roubaix- Sieger und geständiger Doper, konnte 1998 nach einem schweren Sturz mit Kniescheibenbruch nicht operiert werden, weil er seltsame Mittel in seinem Blut hatte, die seine Gerinnung hemmten. Diese Mittel dienten allgemein der Verschleierung von Epo.

Für Wiggins endet an diesem Sonntag seine Straßenkarriere. Im Sattel bleibt er aber noch. Es geht zurück auf die Bahn, da wo alles begann. In Athen 2004 und Peking 2008 holte er drei Olympiasiege im Holzoval, 2016 in Rio will er seine Karriere noch einmal mit seiner achten Olympiamedaille krönen – wieder auf der Bahn. Die Vorbereitungen laufen, das „Team Wiggins“ ist gegründet, von morgen an geht der Blick nach Rio. Bevor der Brite aber gleichmäßig über die Bahn gleiten kann, wird er nochmal kräftig durchgeschüttelt.

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