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Sport: Abschied vom "Hexer"

Heute sagt Andreas Thiel in Ludwigshafen adeVON KLAUS ROCCA BERLIN. "Hexer" nennt man ihn.

Heute sagt Andreas Thiel in Ludwigshafen adeVON KLAUS ROCCA BERLIN. "Hexer" nennt man ihn.Und er vernimmt es gern.Ein wenig Eitelkeit steckt schließlich in jedem.Hexen vermag er nicht, aber enorme Reaktionsschnelligkeit ist ihm zweifellos eigen.Noch immer.Noch heute, da er 37 Jahre Lenze zählt.In dem Alter denkt man natürlich ans Aufhören.Heute nimmt Andreas Thiel Abschied.Zumindest von der Nationalmannschaft, der er allerdings schon seit Atlanta den Rücken gekehrt hat.In Ludwigshafen sagt er beim Spiel gegen ein All-Star-Team "Tschüß".Ein wenig mit Wehmut, vielleicht auch mit Erleichterung.Denn das Nationalteam hat ihn zuletzt nicht mehr gelockt.Kein Wunder: Dieser Tage, da die Besten der Welt in Japan um die WM-Krone spielen, sind die Deutschen bekanntlich nicht dabei. Andreas Thiel hat freilich Tage erlebt, da stand der deutsche Handball noch viel tiefer, war gewissermaßen in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht.Das war 1989 mit dem Sturz in die C-Klasse.Da war der Frust bei Thiel so stark, daß er - auch aus Wut und Enttäuschung - seinen Rücktritt erklärte.Ein Schritt, den er alsbald bereute und dem er schnell den Rücktritt vom Rücktritt folgen ließ.Zum Wohle des deutschen Handballs, auch des VfL Gummersbach und Bayer Dormagens.Als er nach Atlanta die internationale Bühne endgültig verließ, konnte Thiel auf eine stolze Bilanz zurückblicken: 256 Länderspiele, Olympiazweiter 1984, Supercup-Sieger 1987, dreimal Europapokalsieger und siebenmal "Handballer des Jahres".Dabei wollte Thiel eigentlich Fußballer werden.In Aachen hütete er einst das Tor der Alemannen-Kicker. Es waren nicht nur die sportlichen Erfolge, die ihn auszeichneten.Andreas Thiel war und ist eine Persönlichkeit, die den Sport geprägt hat, nicht nur speziell Handball.Dabei ist er nicht leicht zu nehmen.Andreas Thiel ist ein Grantler, ein Stoiker, ein oft nervtötender Realist.Einer, der zwischen den Pfosten nicht mit dem Publikum kokettiert wie andere, die sich gern zur Schau stellen.Freilich auch einer, der sich seines Persönlichkeitswertes bewußt ist.Und einer, der sein Metier professionell wie kaum ein anderer ausübte, als Handball vom Professionalismus noch weit entfernt war.Kein Wunder, daß Thiel stets zur Leitfigur wurde, als National- oder Vereinsspieler. Professionell war er auch, wenn es darum ging, seine Zukunft zu planen.Schon früh verschaffte sich Thiel ein zweites Standbein.Nach dem Abitur studierte er Jura und träumte davon, "Amtsrichter auf der Schwäbischen Alb" zu werden.Der Traum ging nicht in Erfüllung: Nicht auf der Alb, sondern in Köln ist Thiel Rechtsanwalt.Verheiratet in zweiter Ehe mit Ulrike, Vater zweier Töchter.Dem Deutschen Handball-Bund diente Thiel zwischenzeitlich als Vizepräsident.Natürlich verantwortlich für die Sparte Recht. In Gummersbach, wo er dem VfL zwölf Jahre die Treue hielt, hatte Andreas Thiel seine Hoch-Zeit, bei Bayer Dormagen wird er noch bis 1998 zwischen den Pfosten stehen.Dann ist die Zeit des "Hexens" endgültig vorbei.Es bleibt die Erinnerung an einen der weltbesten Torhüter.Und an eine Persönlichkeit, von der der Sport viel zu wenige hat.

KLAUS ROCCA

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