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Scheiden tut weh. Österreichs David Alaba ist so polyvalent, er hätte vielleicht noch im Tor gestanden.

© dpa

Abschied vor dem Achtelfinale: EM-Loser zum Vermissen

Die Gruppenphase ist vorbei, acht Teams mussten uns leider verlassen. Sportlich mitunter sicher zu Recht – dennoch schmerzt der Abschied. Acht Gründe dafür, die Gescheiterten ins Herz zu schließen.

ALBANIEN

Albanien wird wieder Albanien. Es war ja zwischenzeitlich leer, ein Land auf kollektiver Dienstreise anlässlich der Europameisterschaft in Lens, Marseille und Lyon, drei französische Gemeinwesen, die während der Gastspiele der Rot-Schwarzen den Status exterritorialer albanischer Gebiete annahmen. Keine andere Mannschaft hatte einen ähnlich lauten und emotionalen Anhang. Das lange Zeit abgeschottete Albanien hat bei seinem Debüt auf der internationalen Bühne so nachhaltig auf sich aufmerksam gemacht wie zuletzt in Karl Mays imaginärer Reise „Durch das Land der Skipetaren“. Schade, dass es damit erst einmal vorbei ist.

RUMÄNIEN

So richtig versteht man vieles ja erst, wenn man es sieht. Etwa den Unterschied zwischen dem aktuellen, angeblichen Hochgeschwindigkeitsfußball und dem Standard-Gekicke der Neunziger Jahre. Die Rumänen haben bei dieser EM noch mal vor Augen geführt, wie es damals so abging auf dem Platz. Sie haben hart verteidigt und sie haben gute Ecken und Elfmeter geschossen – also genauso gespielt wie zu ihren goldenen Zeiten zwischen 1994 und 2000. Rumäniens Nationalteam hat den Blick geschärft: Ja, da hat sich wirklich was getan im Weltfußball in den vergangenen Jahren, denn die Topmannschaften spielen heute dann doch ganz anders als die Rumänen. Diesen offensichtlichen Vergleich gibt es nun nicht mehr. Für Fußball-Feldforscher ist das überaus traurig.

Das Gesicht Leonid Sluzkis (Russlands Trainer) erinnert an 80er-Jahre-Comedy.
Das Gesicht Leonid Sluzkis (Russlands Trainer) erinnert an 80er-Jahre-Comedy.

© Reuters

RUSSLAND

Jedes Turnier hat seinen heimlichen Startrainer: 2006 der kettenrauchende Ricardo La Volpe, genannt „La Fluppe“. Oder 2014 die irre Laus von Mexiko, Miguel Herrera. Diese EM gehörte Leonid Sluzki. Mit seinen Glubschaugen und dem daueroffenen Mund hätte der russische Trainer in jeder Achtzigerkomödie den vertrottelt-fiesen Nachbarn spielen können. Tat er mit seinem hilflosen Team ja irgendwie auch. Und wenn russiche Hooligans um sich schlugen und Sportminister Witali Mutko säuselte „Was hat das mit der WM 2018 zu tun?“, machte EM-Zuschauern ein Blick auf Sluzki, wie er authistisch vor und zurück wippte oder schimpfte wie ein Besoffener über verschütten Schnapps, gleich wieder gute Laune. Great Comedy from Russia!

UKRAINE

Es mag überraschend klingen, doch ohne die Ukraine wird diesem Turnier etwas fehlen. Tore sind es nicht. Denn getreu dem Motto „die Null muss stehen“ haben die Blaugelben, die nicht Schweden sind, ihre Gruppenspiele konsequent abgespult. Die Null stand. Allerdings vorne. Dieser unbedingte Wille, die Liebe zur vollkommenen Form, war bei keinem anderen Team zu erkennen. Ein Tor geht immer irgendwie, das haben die Langweiler aus Albanien oder Schweden gezeigt. Aber wirklich als einziges Team kein einziges zu schießen – das ist Hingabe. So spielten die Ukrainer auf ihre eigene Weise ein perfektes Turnier. Denn die Null kennt kein Vorne oder Hinten, kein Gestern oder Morgen. Die Zeit ist ein flacher Kreis. Also bis neulich ihr –tschenkos und –tschuks!

TÜRKEI

Was wäre das für eine Stimmung gewesen in Kreuzberg und Neukölln, wäre die Türkei ins Achtel- oder sogar ins Viertelfinale gekommen! Public Viewing vor jedem Späti, Autokorsos, Feuerwerk, eine unfassbare Party. Es muss ja nicht gleich so ausarten, wie kürzlich auf dem Breitscheidplatz in Charlottenburg, als es 23 Festnahmen gab. Aber das Fußballfieber, das sich bei dieser EM noch in Grenzen hält, hätten die türkischen Fans sicher in die Höhe getrieben.

Petr Cech wirbt für Helme - Eltern werden es ihm danken.
Petr Cech wirbt für Helme - Eltern werden es ihm danken.

© AFP

TSCHECHIEN

Alle Fußballhasser, die denken, bei dieser EM laufen nur hochbezahlte, eindimensionale Dumpfbacken auf dem Platz herum, wurden von Petr Cech eines besseren belehrt. Tschechiens Torhüter hält nicht nur überragend, er spielt nicht nur außergewöhnlich gut Schlagzeug, er bringt auch die Einflüsse anderer Sportarten in den Fußball. Cech trägt einen Rugby-Helm, seit er sich 2006 eine Kopfverletzung zuzog. Damit taugt er außerdem als Vorbild für alle Kinder, die keinen Fahrradhelm tragen wollen. Eine ganze Generation tschechischer Väter kann dank Cech ihren Kindern sagen: „Wenn selbst der Petr einen Helm beim Spiel trägt, musst du auf dem Fahrrad erst recht einen tragen.“ Außerhalb Tschechiens wird dieser Sicherheitseffekt nun leider verpuffen. Denn Tschechien ist raus, und damit ist diese EM nicht mehr mehrdimensional.

SCHWEDEN

Viele männliche Fans haben laut gestöhnt bei den unattraktiven Auftritten der schwedischen Mannschaft auf dem Platz. Weibliche Zuschauer werden hingegen einen Seufzer der anderen Art ausstoßen, dass die Skandinavier mit den blonden Haaren und blauen Augen ausgeschieden sind. Denn laut einer Umfrage unter weiblichen Nutzern eines Internetportals für Seitensprünge verströmten die Fans in Gelb-Blau die meiste Erotik. Ein Drittel der befragten Frauen gab an, sich für die Spiele gar nicht zu interessieren, nur für die Männer auf den Rängen. Da sind die im Turnier verbleibenden Spanier und Deutschen auf Platz zwei und drei der Umfrage ein schwacher Ersatz für Schweden.

ÖSTERREICH

Lucien Favre hat in seiner Zeit bei Hertha BSC den Begriff der Polyvalenz geprägt. Es ging dabei um Spieler, die nicht auf eine Position festgelegt sind, sondern überall spielen können. Um Spieler wie David Alaba. Der Österreicher dient im Alltag als Verteidiger bei Bayern München. Bei der EM begann er gegen Ungarn im defensiven Mittelfeld, gab dann den Spielgestalter gegen Portugal und versuchte sich gegen Island als Mittelstürmer. Wo wäre er wohl im Achtelfinale gewesen? In der Innenverteidigung? Im Tor? Als Chef auf der Trainerbank? Schade, dass wir es nie erfahren werden.

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