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Hertha

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Abstiegskampf: Hertha: Das Schicksal klopft ans Marathontor

Gegen Nürnberg geht es für Hertha um alles – großer Druck hat die Berliner aber schon oft gelähmt.

Berlin - Vor einer Woche, es war nach dem Spiel in Hamburg, Hertha BSC hatte ein Tor kassiert und keines geschossen, wieder mal – vor einer Woche also hat Herthas Torhüter Jaroslav Drobny gesagt: „Unser Problem ist, dass wir keine Tore schießen!“ Und: „Unsere Stürmer müssen endlich aufwachen!“ Herthas Manager Michael Preetz, ein ehemaliger Stürmer, hat sehr wohlwollend auf diesen Ausbruch reagiert. Entsprechende Erleichterung war auch bei den von Drobny angesprochenen Angreifern Theofanis Gekas und Adrian Ramos zu konstatieren. Na klar, aufwachen müssen wir und Tore schießen, endlich sagt’s mal einer!

Das wäre dann also geklärt vor dem Spiel des Tabellenletzten gegen den Drittletzten 1. FC Nürnberg, von dem nur Unwissende behaupten, es handele sich um ein Schicksalsspiel. Erstens, sagt Friedhelm Funkel, „gibt es auf dem Fußballplatz kein Schicksal“, und zweitens sei auch das Duell mit Nürnberg nur eins von 17 in der Rückrunde, „das besagt die Erfahrung eines erfahrenen Trainers“.

Das fügt sich mit hohem Weichspülfaktor in die political correctness und ist doch nicht ganz richtig. Anders als Katastrophen oder Tragödien gibt es sehr wohl ein Schicksal auf dem Fußballplatz, in Gestalt einer höheren Macht, die sich schwer beeinflussen lässt, und wenn es nur um Formschwäche, Windböen oder indisponierte Schiedsrichter geht. Und doch macht es Sinn, dass Funkel seinen Spielern den Glauben an ein Alles-oder-Nichts-Spiel ausredet. Denn zu solchen Gelegenheiten hat Hertha BSC noch nie besonders gut ausgesehen. Dazu muss man nicht einmal weit in die Historie zurückgehen, zu vier verlorenen Endspielen um die Deutsche Meisterschaft in den Zwanzigern (denen immerhin zwei siegreiche in den Dreißigern folgten),  zu den beiden verlorenen DFB-Pokal-Finals in den Siebzigern oder zum K.o. im Uefa-Cup-Halbfinale 1979 gegen Roter Stern Belgrad. Es reicht ein Blick in eine Vergangenheit, die so jung ist, dass sie für viele noch gar nicht vergangen ist.

Vor gerade zehn Monaten klopfte das Schicksal an im Olympiastadion. Es stand im offenen Marathon-Tor und schaute zu, wie Hertha gegen Schalke 04 um Einlass begehrte in die Champions League, die noch jedem Teilnehmer millionenschweren Reichtum beschert hat. Doch das Schicksal, es war nicht mit Hertha. Es ließ den Schiedsrichter Abseits pfeifen, wo kein Abseits war, auf dass Marko Pantelic nicht das Siegtor erzielen durfte. Das 0:0 gegen Schalke lähmte Herz, Leidenschaft und Verstand so sehr, dass eine Woche später in Karlsruhe gar nichts mehr ging. Hertha verlor 0:4 und es wurde nichts mit der Champions League.

Davon hat sich der Verein bis heute nicht erholt. Auch das ist Schicksal: Hertha BSC ging in die neue Saison mit dem nur theoretisch gegebenen Anspruch, eine Spitzenmannschaft zu sein. Viel zu spät hat Hertha die Notwendigkeit eines bedingungslosen Abstiegskampfes realisiert. Auch in den vergangenen Wochen hat die Mannschaft gefällig, aber eben doch leidenschaftslos gewerkelt. Manchmal sieht es so aus, als hätte eine Laune des Schicksals Hertha auf den letzten Platz geworfen und es nur eine Frage der Zeit wäre, bis der Spuk wieder vorbei ist.

Um der Öffentlichkeit zu vergewissern, dass der Existenzkampf endlich angekommen ist in den Köpfen, haben sie bei Hertha zwei kleine Aufstände inszeniert. Da war erst die Attacke von Torhüter Drobny gegen die Stürmer, ein paar Tage später meldete sich auch Mittelfeldspieler Pal Dardai zu Wort mit der schwer zu widerlegenden These, es fehle der Mannschaft an „Schweinen, an fiesen Charakteren“, mit „lieben Schwiegersöhnen“ allein sei in der Bundesliga nicht zu bestehen. Dazu muss man wissen, dass Dardai gut als Prototyp herhalten könnte für den liebsten aller Schwiegersöhne und es seiner Attacke deshalb ein wenig an Glaubwürdigkeit fehlt. So einfach ist es nun mal nicht, die Adrenalinausschüttung so drastisch zu erhöhen, dass ein jeder gegen Nürnberg um sein Leben rennt. Den Umgang mit Druck kann man nicht lernen, jedenfalls nicht in so kurzer Zeit, wie sie Hertha noch verbleibt. Auch wenn Friedhelm Funkel das Gegenteil behauptet.

Herthas Trainer führt als Beweis für die Stressresistenz seiner Mannschaft gern die siegreichen Spiele gegen Hannover und Freiburg an, „da standen wir unter dem Druck des Siegenmüssens, und wir haben dem Druck standgehalten“. Es waren dies die beiden bisher einzigen Siege in der zur Aufholjagd hochstilisierten Rückrunde, gegen dankbare Kundschaft. Freiburg hat in dieser Rückrunde noch kein einziges Spiel gewonnen und Hannover nur eins, gegen Freiburg. Außerdem kamen beide Berliner Siege auswärts zustande, als der Druck mindestens genauso stark auf dem Gegner lastete. Im Olympiastadion hat Hertha seit vergangenem August nicht mehr gewonnen und in den vier Heimspielen der Aufholjäger-Rückrunde erst ein Tor geschossen.

Dies zu verbessern wird gegen den 1. FC Nürnberg wieder Aufgabe der Herren Gekas und Ramos sein. Begünstigt werden sie dabei auch vom Schicksal. Es kam über Hertha in Gestalt des Leverkuseners Stefan Reinartz, der am Sonntag dem Nürnberger Breno so unglücklich ins Knie sprang, dass dieser für den Rest der Saison ausfällt. Der Verzicht auf den in der Rückrunde überragenden Innenverteidiger könnte die Nürnberger entscheidend schwächen und Herthas Stürmer dazu beflügeln, die Vorgabe ihres Torhüters umzusetzen: aufwachen und Tore schießen!

 Sven Goldmann

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