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Abstiegskampf macht Spaß: Hertha geht mit neuem Mut ins Saisonfinale

Nach dem Sieg in Mainz ist die Stimmung bei Hertha BSC so gut wie lange nicht. Die neue Lockerheit hat aber nicht nur mit den eigenen Leistungen zu tun - auch die geballte Schwäche der Konkurrenz macht Mut.

Die Spieler von Hertha BSC hatten eine harte Einheit hinter sich. Nach einigen Spielchen mit dem Ball hatten sie sich ans hintere Ende des Trainingsgeländes verzogen, um mit Spurts und Sprüngen ihre körperliche Kraft zu stählen. Doch als sie nach etwas mehr als einer Stunde den Platz verließen, passierte etwas Außergewöhnliches: Herthas Spieler lachten, jeder Einzelne hatte ein Strahlen auf dem Gesicht.

Kann Abstiegskampf auch Spaß machen, Lewan Kobiaschwili? Der Georgier lacht. „Wir nehmen den Abstiegskampf sehr ernst. Hinten stehen macht keinen Spaß“, sagt Herthas aktueller Kapitän. „Spaß macht es nur, wenn du nach einem Spiel gute Laune haben kannst.“ Wie in dieser Woche nach dem ersten Auswärtssieg des Jahres 2012, einem emotionalen Big Point, wie Mittelfeldspieler Peter Niemeyer das 3:1 in Mainz bezeichnet hat.

Die Konkurrenz hat am Wochenende das Ihrige zu Herthas neuem Wohlbefinden beigetragen. Lewan Kobiaschwili zum Beispiel saß am frühen Sonntagabend vor dem Fernseher und schaute sich die zweite Hälfte des Spiels zwischen dem 1. FC Köln und Borussia Dortmund an. „Es war schön“, berichtete er, obwohl er als ehemaliger Schalker eigentlich wenig Sympathie für den BVB hegen dürfte. Innerhalb von 45 Minuten machten die Dortmunder aus dem 1:1 ein 6:1 – mit dem Ergebnis, dass die Kölner nun selbst tief im Abstiegskampf stecken. Genauso wie der Hamburger SV, ein anderer Traditionsklub, der sich von seinem Selbstverständnis her in ganz anderen Regionen verortet. „Das negative Momentum ist jetzt bei anderen Mannschaften, die das noch gar nicht realisieren“, sagt René Tretschok, der Assistent von Cheftrainer Otto Rehhagel, vor Herthas Heimspiel gegen Wolfsburg am Samstag.

"Jeder kennt den Spielplan. Jeder guckt auf die Tabelle"

Die kritische Zone der Fußball-Bundesliga beginnt beim Tabellenelften Nürnberg, der gerade vier Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz hat; acht Klubs sind noch in Gefahr. Das ist der Unterschied zu Herthas Abstiegssaison, als zwei, höchstens drei Mannschaften für die Berliner in Schlagdistanz waren. Man könnte auch sagen: Die Hoffnung auf ein Scheitern der Konkurrenz hat diesmal im Wortsinne eine breitere Basis als vor zwei Jahren. An diesem Wochenende empfängt der Letzte Kaiserlautern den Drittletzten Hamburg, der Tabellenvierzehnte Köln muss beim Fünfzehnten Augsburg antreten. „Natürlich behauptet jeder Spieler, dass ihn die Konkurrenz nicht interessiert“, sagt Kobiaschwili. „Aber da muss man nicht lügen: Jeder kennt den Spielplan. Jeder guckt auf die Tabelle.“

Gucken ja, aber mehr auch nicht. Man sollte nicht anfangen zu rechnen, sich auf die Schwäche der anderen verlassen. „Es macht keinen Sinn zu spekulieren“, sagt René Tretschok. Wenn die Spieler von Borussia Mönchengladbach vor einem Jahr angefangen hätten zu rechnen, würden sie in dieser Saison mit großer Wahrscheinlichkeit in der Zweiten Liga spielen. Am 27. Spieltag lag die Mannschaft auf dem letzten Tabellenplatz, hatte fünf Punkte Rückstand auf den Relegationsrang – dazu noch Spiele bei den Bayern gegen Dortmund und beim damaligen Dritten Hannover 96 vor der Brust. Eine aussichtslose Situation? „Nein“, sagt Borussias Sportdirektor Max Eberl. Wenn sie allerdings damals gerechnet hätten, wie viele Punkte sie wohl noch brauchen würden, hätte sich das wahrscheinlich als höchst demotivierend herausgestellt. „Aber wir haben uns gesagt: Jedes Spiel an sich kannst du gewinnen“, erinnert sich Eberl. „Und ich glaube, diese Konzentration immer auf dieses eine Spiel, hat auch dazu geführt, dass wir es geschafft haben.“

Fans dürfen rechnen, spekulieren, die virtuellen Tabellenrechner so lange mit ihren Tipps füttern, bis am Ende das gewünschte Ergebnis herauskommt. René Tretschok will sich keine Gedanken darüber machen, ob Köln und Hamburg am Wochenende noch weiter abrutschen, „das ist Energieverschwendung“, sagt er. „Aber ich glaube, dass diese Mannschaften brutaler mit der Situation konfrontiert werden als wir.“ Hertha hat jetzt schon einige Wochen im Abstiegkampf hinter sich, das war – zweifellos – keine schöne Zeit. Aber zumindest wissen die Berliner ungefähr, was bis zum Ende der Saison noch auf sie zukommt.

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