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Sport: Abwärts

„Leverkusen wird niemals etwas gewinnen, nie, nie, nie!“ Brasiliens Nationalspieler Emerson im Mai 2000, als er mit Bayer am letzten Spieltag in Unterhaching die Meisterschaft verspielte.

„Leverkusen wird niemals etwas gewinnen, nie, nie, nie!“

Brasiliens Nationalspieler Emerson im Mai 2000, als er mit Bayer am letzten Spieltag in Unterhaching die Meisterschaft verspielte.

Von Martin Hägele

Reiner Calmund verkörpert Bayer. Er lebt Bayer, er leidet Bayer. Und weil man Menschen, die 135 Kilogramm wiegen, in solchen Augenblicken noch schlimmer die Schmerzen ansieht als Leuten, die ihr Leid wenigstens ein bisschen durch ihre Statur und Körperhaltung verheimlichen können, traf die 0:1-Niederlage von Nürnberg den Manager noch grausamer als alle anderen, die bei Bayer angestellt sind oder Herz und Sympathien für diesen Klub entdeckt haben. Vielleicht heißt es am nächsten Wochenende, dass Calmund an jenem 27. April 2002 sein Lebenswerk sterben sah. Menschen, die ihm nahe stehen, drückten ihm nur stumm die Hand. Wie an einem offenen Grab. Später hat der Manager dann noch eine Rede gehalten, leise, fast schon flüsternd.

„Ich weiß, dass in unserer Gesellschaft nur Titel zählen“, sagte Calmund und strich dann noch einmal den Mut, Charakter und die Moral seiner Mannschaft heraus, „die in dieser Saison so toll Fußball gespielt hat und sich diese Woche würdig von ihrem Heimpublikum verabschieden wird“. Doch Calmund selbst schien seinen eigenen Worten in diesem Augenblick nicht zu glauben. Genauso wenig wie der Trainer. „Wenn es eine Gerechtigkeit gibt, werden wir eben am nächsten Samstag Meister", hat Klaus Toppmöller nach dem Desaster von Nürnberg gesagt.

Im Fußball nach höheren Mächten zu rufen oder gar nach dem lieben Gott, hilft nicht. Stattdessen muss sich der Coach fragen lassen, warum nicht er in dieser Situation ein Zeichen gesetzt hat. Wenn sich der Chef schon an seinem Aberglauben und dieser hässlichen Krawatte festhält, die ihm in der Vorrunde angeblich Glück gebracht hat, drückt das nicht unbedingt Selbstbewusstsein aus. Und wieso startete sein Team in derselben Formation, aber mit noch vorsichtigerer Taktik als am Mittwoch in Manchester? In der fünften Minute spielte Boris Zivkovic innerhalb von 50 Sekunden dreimal den Ball fast von der Mittellinie zurück zu Torhüter Hans-Jörg Butt. In Manchester hatte der Kroate noch auf überragende Weise in Old Trafford fast alle seine Zweikämpfe gewonnen – gegen Koryphäen wie van Nistelrooy oder Giggs. Und dann fehlt ihm der Mumm, wenn Spieler vor ihm auftauchen, deren n außerhalb der Landkreise Nürnberg, Fürth, Erlangen kaum ein Fußballfan kennt: Lars Müller oder Thomas Stehle. So zeigt man seine Nervosität, aber auch, indem die routiniertesten Nationalspieler des Klubs ob nun Michael Ballack oder Carsten Ramelow bereits nach 20 Minuten die Gelbe Karte kassieren.

Und so haben die Protagonisten des Angriffsfußballs auf einmal angefangen, mit ihren Kräften zu kalkulieren, anstatt sich von ihrem jüngsten Schwung, der Begeisterung und den Wünschen eines ganzen Landes tragen zu lassen. Sie sind ihrem Glaubensbekenntnis untreu geworden, sie haben sich selbst verleugnet. Nun können die Herren Calmund, Toppmöller und Co. nur noch auf einen großen Auftritt von Werder Bremen im Dortmunder Westfalenstadion hoffen – sonst legt sich der Fluch endgültig über die Industriestadt und den Weltkonzern.

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