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Sport: Ärger mit dem obersten Fan

Im amerikanischen Baseball droht ein Streik – das lässt George Bush nicht ruhen

Von Stefan Liwocha

Los Angeles. Als George W. Bush vergangene Woche auf seiner Ranch in Crawford/ Texas eine Pressekonferenz abhielt, vergaß er die große Weltpolitik für einen Moment. Der US-Präsident offenbarte sich als Sportfan und geißelte mit harschen Worten „das Baseball-Theater“. „Wenn der Spielbetrieb eingestellt werden sollte“, polterte der mächtigste Mann der Welt, „werden viele Fans wütend sein. Und ich bin einer davon.“ Bushs Auftritt machte Schlagzeilen. Überhaupt dreht sich dieser Tage alles um den Nationalsport Nummer eins. Die Drohung der Spielergewerkschaft, am 30. August in den Streik zu treten, brachte Millionen Fans in Rage. Im Fernsehen sah man sie ergrimmt mit Plakaten fuchteln, auf denen stand: „Die sind doch alle krankhaft gierig.“

Die Aufregung ist verständlich, denn Baseball ist ein Stück amerikanischer Kultur. Hotdogs und Home-Runs gelten als der schönste nationale Zeitvertreib. Ein Streik inmitten der gerade recht spannenden Saison dürfte weit reichende Folgen für die MLB (Major League Baseball) mit ihren 30 Teams haben. Zum Vergleich: Dem Arbeitskampf von 1994, als die Liga für 232 Tage innehielt, waren immerhin 921 Spiele und die World Series zum Opfer gefallen.

Die Geduld der Fans scheint am Ende. Seit 1972 haben sie acht Streiks hinnehmen müssen, ohne dass es entscheidende Verbesserungen gegeben hätte. Der amerikanische Joe Normalverbraucher fragt sich: Warum ist es bei jährlichen Einnahmen von 3,5 Milliarden Dollar und einem durchschnittlichen Spielergehalt von 2,4 Millionen Dollar – in nur fünf Jahren sind sie um 71Prozent angestiegen – nicht möglich, dass Teambesitzer und Spieler einen Deal machen?

In den aktuellen Verhandlungen geht es um eine faire Einnahmeteilung zwischen den Teams, eine Reduzierung der Mannschaften, regelmäßige Dopingtests und eine Begrenzung der astronomischen Gehälter. Größter Streitpunkt ist die Einführung einer so genannten „Luxus-Steuer“, die den reichen Vereinen auferlegt werden soll, wenn sie neue Spieler verpflichten. Allerdings sind beide Seiten noch zweistellige Millionenbeträge voneinander entfernt in der Frage, ab welchem Etat ein Verein als reich gilt.

Die Krösusse der Liga sind ohne Frage die New York Yankees, deren Besitzer George Steinbrenner dank einer großen Fan-Basis und eines überaus lukrativen lokalen TV-Vertrags seine Spieler fürstlich entlohnt und auf diese Weise viele Stars an den Big Apple locken kann. Zusammengerechnet erhält das Team um Superstar Derek Jeter – in den vergangenen sechs Jahren viermal Sieger der World Series – in dieser Saison das Rekordgehalt von 140 Millionen Dollar.

Die Kluft zwischen Arm und Reich wird also immer größer, und in der MLB haben kleinere Märkte längst keine Chance mehr. In schöner Regelmäßigkeit erreichen die Teams mit dickem Geldbeutel die Play-offs, während die zum Sparen verdammten keinen Treffer landen.

Baseball ist die einzige der vier großen amerikanischen Profi-Ligen – dazu zählen ferner die NBA (National Basketball Association), NFL (National Football League) und NHL (National Hockey League) –, die sich immer noch dagegen wehrt, ihre wirtschaftlichen Strukturen zu modernisieren. Andere Sportarten haben schon längst eine Gehaltsobergrenze (salary cap) eingeführt. Woanders müssen reiche Vereine auch einen hohen Prozentsatz ihrer Einnahmen in einen Pool werfen, um damit ärmere Vereine in kleineren Städten zu unterstützen.

Wie geht es also weiter? „Momentan wiederholt sich 1994, denn die damaligen Probleme sind immer noch nicht gelöst“, meint Wirtschafts-Professor Bruce K. Johnson. „Man versucht Heftpflaster draufzutun, obwohl es kein kleiner Kratzer ist. Es handelt sich um eine Krankheit, die tödlich sein kann, wenn es einen weiteren Streik und eine massive Abwanderung der Fans geben sollte.“

Als der Spieler Alex Rodriguez vor knapp zwei Jahren seinen Rekordvertrag (252 Millionen Dollar über zehn Jahre) bei den Texas Rangers unterschrieb, warnten Experten, dass die Spirale gefährlich überdreht sei. Doch als zwei Tage nach der atemraubenden World Series 2001 zwischen den Arizona Diamondbacks und den New York Yankees die Teambesitzer der Warnung folgten und die Eliminierung zweier Mannschaften (Montreal Expos und Minnesota Twins) beschlossen, da waren gewaltige Proteste von Fans und Politikern die Folge. Und die Entscheidung wurde zurückgenommen.

Bei einer Anhörung vor dem US-Kongress rechtfertigten die an der Entscheidung Beteiligten den Beschluss später so: Die Teambesitzer hätten vergangene Saison 350 Millionen Dollar verloren. Nur neun der 30 Mannschaften könnten schwarze Zahlen vorweisen. „Sechs bis acht Mannschaften“ müssten ohne wirtschaftliche Reformen innerhalb von 18 Monaten den Betrieb einstellen. Zudem sei der Schuldenberg der Besitzer innerhalb eines Jahrzehnts von 593 Millionen Dollar auf vier Milliarden gestiegen und ein Zuschauerrückgang von sechs Prozent zu verzeichnen. Bei dieser Bilanz sieht auch die mächtige Spielergewerkschaft rot – denn sie zweifelt an den Zahlen. „In der Liga gibt es viel Hokuspokus“, sagt Spieleragent Scott Boras. Zehn Tage haben beide Parteien noch Zeit, im Tarifpoker einen Kompromiss zu finden. Sonst ist das nationale Heiligtum ernsthaft in Gefahr.

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