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Afghanische Fans feiern den Gewinn der Südasienmeisterschaft 2013.

© Imago

Afghanistans deutscher Coach im Gespräch: „Es kann doch überall etwas passieren“

Der deutsche Jugendcoach Slaven Skeledzic trainiert seit Februar die Fußball-Nationalmannschaft von Afghanistan. Der Hesse mit bosnischen Wurzeln über seine ersten Eindrücke, Gefahren im Alltag und die WM 2018.

Slaven Skeledzic, Sie übernehmen als deutscher Jugendtrainer die Nationalmannschaft Afghanistans. Wie kam es dazu?

Ich bin in Deutschland kein unbeschriebenes Blatt im Fußball. Ich habe 43 Spieler mit ausgebildet, die in der Bundesliga spielen, dazu 14 Profis in der Zweiten Liga und zwölf in der Dritten Liga. Die haben zusammen einen Marktwert von 83 Millionen Euro. Der afghanische Verband hat meinen Werdegang verfolgt, mich gescoutet und kontaktiert. Meine Telefonnummer herauszukriegen ist nicht so schwer.

Wie klang die Anfrage für Sie: spannend, exotisch oder gefährlich?

In erster Linie hat mich die sportliche Herausforderung interessiert. Das ist ja ein Novum in der Fußballhistorie: ein U-19-Trainer, der Nationaltrainer in einem fremden Land mit über 30 Millionen Einwohnern wird. Ich war absolut begeistert, dass der Verband sich Impulse verspricht durch den europäischen Fußball und meine Spielphilosophie.

Wie sind die Bedingungen vor Ort?

Relativ nobel für die Verhältnisse dort, die haben alles in Eigenregie renoviert. Ich war in Kabul auf dem Verbandsgelände, wo die Nationalmannschaft trainiert. Es gibt ein Stadion, Umkleiden, eine Geschäftsstelle, eine Futsal-Halle. Ein großes Areal, abgeschirmt durch Mauern, so lässt es sich in Ruhe trainieren. In England wird ja auch die Tür zugemacht.

Haben die Mauern nicht eher mit Sicherheitsbedenken zu tun?

Ich war vier Tage dort, bin ganz normal durch die Stadt gefahren und gelaufen. Natürlich ist es ein bisschen anders dort, es sind viele Bewaffnete auf der Straße. Aber es war nie feindselig oder so, dass ich dachte: Jetzt wird’s ernst. Die ganzen Botschaften und Ministerien sind auch abgeschirmt, das gehört eben zum Straßenbild. Es kann doch überall etwas passieren. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich Angst haben muss, dorthin zu gehen.

Slaven Skeledzic, 43, ist seit Februar Nationaltrainer Afghanistans. Zuvor trainierte der Hesse mit bosnischen Wurzeln Jugendmannschaften mehrerer Profiklubs, zuletzt beim FSV Frankfurt.
Slaven Skeledzic, 43, ist seit Februar Nationaltrainer Afghanistans. Zuvor trainierte der Hesse mit bosnischen Wurzeln Jugendmannschaften mehrerer Profiklubs, zuletzt beim FSV Frankfurt.

© Imago/Jan Huebner

Werden Sie in Kabul leben?

Ich werde weiter in Deutschland wohnen und pendeln, zur Verbandsarbeit und zu Länderspielen nach Kabul. Aber Lehrgänge oder Trainingslager werden auch außerhalb Afghanistans stattfinden, zum Beispiel in Dubai oder Katar. Viele Spieler sind über die ganze Welt verstreut, auch weil viele Menschen ausgewandert sind. Ich bin schon an der Liste dran, ich will die Spieler für die Nationalmannschaft begeistern. Das Team wird ein Mix aus Einheimischen und Legionären.

Wie verständigen Sie sich?

Die Afghanen sprechen in der Regel Persisch, das kann ich leider nicht. Mit sechs bis acht Spielern kann ich mich auf Deutsch unterhalten. Drei habe ich sogar schon in der Jugend von Eintracht Frankfurt trainiert. Ich kann auch Serbokroatisch anbieten, aber damit komme ich in Kabul nicht weit. Viele Legionäre sprechen auch Englisch. Mein Co-Trainer spricht dazu perfekt Deutsch und Persisch und kann übersetzen.

Bei Ihrer Vorstellung sagten Sie: „Ich will die europäische Kultur in Afghanistan einführen.“

Diese Aussage ist völlig falsch übersetzt worden. Ich will moderne Fußballkonzepte aus Europa mitbringen, aber die afghanische Fußballidentität werden wir beibehalten. Mir gefällt ja die Begeisterung, Motivation und das Herz der Spieler. Und die afghanische Kultur möchte ich selber kennenlernen und mich integrieren, darauf freue ich mich.

Welchen Stellenwert hat Fußball in Afghanistan?

Enorm hoch, er ist Nationalsport Nummer eins. Als die Nationalspieler vor zwei Jahren überraschend als Südasienmeister heimkehrten, waren sechs Millionen Menschen in Kabul auf der Straße. Es gibt einen richtigen Hype, Euphorie und Enthusiasmus. Das Land lechzt nach Erfolgen.

Wie ist das Niveau der afghanischen Liga?

Sie ist relativ neu. Die Provinzen haben eigene Meisterschaften, und die besten Teams spielen dann drei Monate lang ein Turnier in Kabul. Ich kann nicht alle Provinzen abklappern, aber ich sehe mir die Spieler an, die Tür ist offen. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass die Jungs, die in Europa aufgewachsen und ausgebildet sind, ein Stück weiter sind.

„Ich habe in den Tagen in Kabul sehr warmherzige Menschen kennengelernt“

Mohammad Yousef Karger, Ihr Vorgänger als Nationaltrainer, wurde auf dem Heimweg von einer Hochzeitsfeier niedergestochen. Was wissen Sie darüber?

Ich habe diese Informationen auch nur aus der Presse. Es war kein Thema bei den Gesprächen. Man kennt die Motive nicht, ob es Straßenräuber waren oder ein gezielter Anschlag. Er war sportlich erfolgreich, und es muss nicht unbedingt etwas mit Fußball zu tun haben. Ich wünsche Herrn Karger, dass er gesund wird.

Wird Ihnen als Nachfolger da nicht mulmig?

Nein, nicht im geringsten. Ich habe keine Angst. Mein erster Eindruck vom Land ist durchweg positiv. Ich habe in den Tagen in Kabul sehr gastfreundliche und warmherzige Menschen kennengelernt.

Geht es bei Ihrem Job um mehr als Sport?

Fußball ist wichtig in der Gesellschaft dort, für die Leute in Afghanistan, die von Kriegen gebeutelt sind. Ich will versuchen, die Menschen mitzunehmen, ihnen ein Lächeln schenken und dass sie stolz sind auf ihre Nationalmannschaft. Je besser und erfolgreicher wir spielen, desto glücklicher sind sie. Ich übernehme da sehr viel Verantwortung. So eine große Aufgabe ist absolut reizvoll für mich als Mensch und als Trainer.

Afghanistan ist 144. der Weltrangliste, Ihre Gegner sind nun Turkmenistan, Tadschikistan und Kirgisien. Aufzählen könnten wir deren Nationalspieler spontan nicht …

… ich auch noch nicht (lacht).

Welche Ziele haben Sie mit dem Team?

Was ich anpeile, ist dort absolute Professionalität reinzubringen, sich mit den Gegnern zu befassen, Videomaterial zu besorgen, die Mannschaft taktisch einzustellen und auf ein neues Spielniveau zu heben. Wir tun alles dafür, jedes Spiel zu gewinnen. Ein Traum wäre es, uns für die WM in Russland 2018 zu qualifizieren. Dann würden alle Afghanen durch die Decke gehen vor Freude. Das ist natürlich ganz weit weg, aber wir versuchen, das Maximale herauszuholen.

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