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© Reuters

Afrika-Cup: Die Minen von Angola

Im ehemaligen Bürgerkriegsland Angola spendet der Fußball Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Doch nicht alle freuen sich über den Afrika-Cup 2010. Eine Reportage aus Benguela.

Einen „Jabulani“ brauchen Manuel und seine Freunde nicht. Die Jungs von Benguela sind schon froh, wenn sie statt des berühmten WM-Balls, den sich hier natürlich niemand leisten kann, irgendeinen Plastikball zum Spielen haben. Zur Not tut’s auch ein zusammengeschnürtes Bündel aus alten Lumpen. Hauptsache, man kann irgendein rundes Etwas zwischen den zwei Toren hin- und herkicken, die im Hinterhof rasch aus vier alten Öltonnen markiert worden sind.

Hier, zwischen den Lehmhütten der Küstenstadt Benguela, rund 550 Kilometer südlich von Angolas Hauptstadt gelegen, haben der zwölfjährige Manuel und seine Fußballkumpels ihr „Stadion“ angelegt. Hier treffen sich die Jungs schon morgens um neun Uhr, um zu spielen. Ab mittags, wenn die Flut des Atlantiks abgezogen ist, ziehen die fußballbegeisterten Kids ein paar Meter weiter an den Strand. Spielen dort auf den kilometerlangen weißen Sandbändern, bis die Sonne am Abend untergeht. Tag für Tag. „Ich will einmal Profi werden“, sagt Manuel selbstbewusst. Sein Traum: ein Vertrag bei Benfica Lissabon, dem portugiesischen Traditionsklub. Dort spielt Manuels Fußballidol, der angolanische Stürmer Mantorras.

Fußball ist auch in Angola die unangefochtene Nummer eins. Auf den Afrika-Cup haben sich die rund 17 Millionen Einwohner vier Jahre lang gefreut – nun feiern die Menschen hier ihr dreiwöchiges Fußballfest. Daran kann auch der Terrorakt der Rebellen von Cabinda nichts ändern, der das Turnier zu Beginn beinahe zum Scheitern gebracht hätte. Die Angolaner hätten irgendwelche Sanktionen sowieso nicht verstanden – sie sind Kummer, Gewalt und Maschinengewehre gewohnt. 27 Jahre lang hat Angola unter einem furchtbaren Bürgerkrieg mit täglichem Mord und Totschlag gelitten. Rund eine Million Menschen sind in dieser Zeit eines gewaltsamen Todes gestorben.

Und das Leiden hat noch lange kein Ende: Noch immer liegen in den ländlichen Gebieten des riesigen Landes geschätzte 500 000 Landminen. Sie sind nur einige Zentimeter tief vergraben und ständig bereit, bei kleinster Berührung in die Luft zu fliegen. Jedes Kind lernt in Angola: Betrete nie eine Wiese, auf der das Gras nicht gemäht ist. Es ist ein untrügliches Zeichen für ein Minenfeld, wenn die Landwirte ein fruchtbares Stückchen Erde unbearbeitet lassen. Schilder mit Minenwarnungen braucht es hier nicht. Trotz aller Vorsicht und obwohl gerade rund um die größeren Städte längst alle Minenfelder als geräumt gelten, kommt es noch regelmäßig zu Unfällen. Zwischen 2006 und 2008 – so die letzten offiziellen Zahlen – gab es 108 Minentote und über 200 Verletzte.

Im Gegensatz zu seinen Freunden kann Manuel nicht an jeder Trainingseinheit in Benguela teilnehmen. An manchen Tagen muss er seiner Mutter in Caponte, auf dem großen Marktplatz am Rande der Stadt, helfen. Die Mutter verkauft dort selbst gebackene kleine Kuchen, Manuel muss manchmal die schweren Körbe schleppen. Sein Vater ist vor drei Jahren in Richtung Südafrika ausgewandert, seither lebt Manuel mit seiner Mutter und drei Geschwistern allein in einem einfachen Lehmbau gleich hinter dem Strand. Die kleine Familie kommt so gerade eben über die Runden. In die Schule geht Manuel selten. Es gibt zwar eine Grundschule, doch für den Unterricht hat Manuel wenig Zeit, er sieht auch keinen großen Sinn darin, dort hinzugehen. „Ich muss eher meiner Mutter helfen. Und den Rest meiner Zeit muss ich trainieren, das geht vor“, sagt er trotzig.

In die Schule gehen noch immer die wenigsten Kinder von Benguela. Allgemeine Grundschulbildung erwartet Angola offiziell für das Jahr 2015 – einige viel ärmere afrikanische Länder haben das schon längst eingeführt. Dabei ist Angola das Boomland Afrikas schlechthin. Der Grund: Öl. Im vergangenen April löste Angola das neunmal größere Nigeria als wichtigster Ölproduzent des Kontinents ab. 1,9 Millionen Barrel werden hier jeden Tag gefördert – eine Erhöhung von 50 Prozent in nur drei Jahren. Das Wirtschaftswachstum ist enorm. Doch die Investitionen kommen bisher an der Basis nicht an. Zwei Drittel der Bevölkerung leben unter der absoluten Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag, jedes vierte Kind stirbt vor seinem fünften Geburtstag. Krankheiten wegen fehlender Hygiene und Malaria sind die größten Killer. Aids ist in Angola nicht so verbreitet, weil das Land jahrelang wegen des Bürgerkriegs von der Außenwelt quasi abgeschnitten war.

An der Entwicklung der Gemeinschaftseinrichtungen hapert es in Angola nach wie vor. Daher gibt es am Rande des Afrika-Cups auch leidenschaftlich geführte Kritik an den Investitionen in die Fußball-Infrastruktur. Seit 2006, als Angola den Zuschlag für die kontinentale Fußballmeisterschaft erhielt, investierte die Regierung rund eine Milliarde US-Dollar in die Errichtung von vier neuen Stadien und entsprechender Zufahrtsstraßen.

Für Doug Steinberg, Geschäftsführer der in Angola tätigen Hilfsorganisation „Save the Children“ sind die Fußball-Investitionen völlig unverständlich. „Es ist schwer zu verstehen, wenn so viel Geld in Fußballstadien investiert wird, wenn gleichzeitig so viele Schulen und Kindergärten des Landes ohne Wasser und Strom auskommen müssen.“ Und Alcidas Sakala, Sprecher der größten Oppositionspartei des Landes (Unita), zweifelt die Nachhaltigkeit der Stadionbauten an. „Es besteht die große Gefahr, dass die Stadien nach dem Afrika-Cup als ‚weiße Elefanten’ enden.“ „Weiße Elefanten“ sind in Afrika geflügelte Worte. Sie bezeichnen Bauten, die niemand mehr braucht.

Ganz anders sieht das natürlich das Cup-Organisationskomitee. „Alle Kritiker werden sehen, wie sehr Angola von der Austragung des Cups profitieren wird. Die Straßen, die neuen Bauten, vor allem aber die Zuversicht und der Fußball-Enthusiasmus werden unserem Land guttun“, prophezeit der Sprecher des Organisationskomitees, Baptista Moutinho. Für den angolanischen Fußball, der bis heute von kommunistischen Strukturen und staatseigenen Klubs geprägt ist, erwartet der Sprecher die lange ersehnte Anbindung an die weltweite Fußballfamilie: „Ich bin sicher: 2015 werden mindestens zehn angolanische Fußballer in der englischen Premier League spielen.“

England – für Manuel ist das eine andere Welt, er weiß noch nicht einmal ansatzweise, wo dieses Land überhaupt liegt. Von Europa weiß er eigentlich nur, dass dort auch irgendwo Portugal, die ehemalige Kolonialmacht Angolas, liegen muss. Manuels großer Schritt in die Welt wäre schon ein Umzug in die angolanische Hauptstadt Luanda. Dort, wo die beiden größten Fußballklubs des Landes beheimatet sind.

Petro Atletico, der Verein der staatlichen Ölgesellschaft, und Primeiro de Agosto, der Klub des angolanischen Militärs. Diese beiden Vereine haben die angolanische Fußball-Meisterschaft in den vergangenen Jahrzehnten unter sich ausgemacht. Schafft ein Spieler den Sprung in eine dieser Mannschaften, hat er ausgesorgt.

Rund 5000 US-Dollar bekommen die guten Spieler in diesen Vereinen an monatlichem Salär – Geld ist in Angolas Eliten eben genügend vorhanden. Auch dies ist ein Grund, warum viele angolanische Spitzenspieler in der Vergangenheit lieber in der Heimat geblieben sind, anstatt ins Ausland zu wechseln. Die beiden Großklubs von Angola sind auch die einzigen beiden Institutionen, die so etwas wie einen geregelten Jugendfußballbetrieb unterhalten. In vereinseigenen Fußballschulen werden dort Jahr für Jahr rund ein halbes Dutzend der talentiertesten Spieler Luandas aufgenommen. Auch dort lässt man den Kids zwar keine schulische Bildung angedeihen – aber immerhin einigermaßen strukturiertes Fußballtraining.

Für Manuel wäre eine solche Fußballschule der Traum schlechthin. Allein – der Traum scheint unerreichbar weit entfernt. Ein Scout oder dergleichen aus Luanda – in Benguelas Hinterhöfen oder auf den Fußballplätzen am Strand ist noch nie einer gesehen worden. Manuels großer Schritt in die Welt wäre schon ein Umzug in die Hauptstadt Luanda

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