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Sport: „Ah, Bayern!“

Wie der Deutsche Meister in Warschau den osteuropäischen Markt erschließt

Es ist kalt, der Regen prasselt und die Bayern liegen klar in Führung. Das Publikum sackt langsam weg, da ergreift die Stadionband die Initiative und spielt „Yellow Submarine“, jene Melodie, zu der deutsche Fußballfans seit Generationen singen: „Zieht den Bayern die Lederhosen aus!“ Für einen Augenblick scheint die Stimmung zu kippen, aber wir sind hier in Warschau, und die Warschauer kennen den Bayern-Song natürlich nicht. Sie stimmen einen polnischen Vers an, der mit „Legia Warszawa“ endet, fröhlich und vergnügt. Kein böses Wort gegen den Besuch aus Deutschland.

Warschau ist der Auftakt einer neuen PR-Kampagne, die den Namen „Visiting Friends“ trägt und den Bayern den osteuropäischen Markt erschließen soll. Der nächste Freundschaftsbesuch ist in zwei Wochen in Zagreb geplant. Dabei waren die Bayern in Sachen Ostasien unterwegs, für fünf Tage und zwei Spiele in Japan, und im Internet argwöhnen die Fans schon, ihre Mannschaft würde die Meisterschaft den Interessen der Sponsoren opfern. Ach was, sagt Trainer Felix Magath, „im August haben wir für so etwas noch Zeit“, und ein Spiel sei doch besser als eine Trainingseinheit. Der Termin in Warschau ist dem Münchner Manager Uli Hoeneß so wichtig, dass er trotz einer Grippe gekommen ist. Wer fehlt, ist sein Kollege Karl-Heinz Rummenigge, dabei hat der das Projekt im Osten angestoßen. Standesgemäß im „Manager-Magazin“ hat Rummenigge von einer Studie erzählt, laut der sein FC Bayern „in Osteuropa mit Abstand der populärste Verein ist, populärer als Real Madrid und Manchester“.

Das Legia-Stadion an der Weichsel wird schon Stunden vor dem Spiel bewacht von jungen Männern mit kurzen Haaren, neongelben Jacken und Kunstlederstiefeln. Nichts wäre schlimmer, als wenn zum Besuch der neuen Freunde aus München die Teddy-Boys kämen. So nennen sich die Warschauer Hooligans, die jede Menge Ärger haben mit Legias Klubchef Mariusz Walter, seit der bei seinem Einstieg im vergangenen Jahr die Eintrittspreise um 50 Prozent erhöhte – mit dem Argument, der Verein sei kein karitatives Unternehmen. Walter ist Polens größter privater Medienunternehmer, er betreibt vier Fernsehprogramme, das populärste heißt TVN. Hier läuft ein polnisches Big-Brother-Format und am Montagabend die Live-Übertragung vom Gastspiel der Bayern im Legia-Stadion.

Die polnischen Bewunderer des Deutschen Meisters machen sich rar an diesem nasskalten Abend. Vor dem Münchner Mannschaftshotel stehen zwanzig, vielleicht dreißig Fans und warten auf Autogramme. Einer trägt ein altes Trikot aus der Champions League. „Dariusz 01“ steht hinten drauf. Ist Bayern größer als Manchester? Dariusz strahlt. „Ah, Bayern!“ Dann hebt er den Daumen und schwenkt seine Fahne.

In seinem Bayern-Trikot ist Dariusz die große Ausnahme an diesem Abend. Die 10000 Zuschauer im Legia-Stadion tragen das Grün-Weiß-Rot ihres Vereins, mal abgesehen von gut 100, die aus München angereist sind. Sie stehen ganz hinten in der Kurve unter der Anzeigetafel, ungefähr so weit weg vom Rasen wie früher im Olympiastadion. Auch sonst ist einiges vertraut. Die Werbebanden sind fast ausschließlich für die drei Münchner Sponsoren, die „Visiting Friends“ inszeniert haben. Auf dem Bankett vor dem Spiel hat ein Marketingmann erzählt, 37 Prozent aller Polen gingen immer noch ohne eigenes Bankkonto durchs Leben. Das trifft sich gut für einen der drei Sponsoren, eine bayerische Großbank. Der zweite Sponsor verkauft Handys, der dritte Autos. Alles Produkte, mit denen der polnische Markt noch unterversorgt ist, so dass ein Besuch der kickenden Werbepartner durchaus Sinn macht. Noch aber sind unter den besuchten Freunden viele, die von ihrem Glück gar nichts wissen. „Jeder hier kennt Bayern“, sagt ein junger Mann auf der Tribüne. „Aber ich würde nicht sagen, dass wir große Fans von ihnen sind. Das ist so wie bei euch in Deutschland: Man respektiert sie, aber man liebt sie nicht.“

Respekt ist mehr, als die Bayern in der Fremde gewohnt sind. Die Sport-Tageszeitung „Przeglad Sportowy“ begrüßt die Münchner mit dicken Buchstaben auf der Titelseite als „eine der wunderbarsten Mannschaften der Welt“. Das ist nicht selbstverständlich für Deutsche in Polen. Am selben Morgen zeigt die führende Tageszeitung „Rzeczpospolita“, ebenfalls auf der Titelseite, ein höchst unvorteilhaftes Foto von Angela Merkel, versehen mit dem Hinweis, die Kanzlerkandidatin habe sich auf dem „Tag der Heimat“ mal wieder für ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ in Berlin ausgesprochen. So etwas hören sie in Polen nicht gern. Auf der anderen Seite kommt niemand auf die Idee, die Gastspielreise der Bayern als wirtschaftliche Rückeroberung des Ostens zu geißeln. Die Münchner Fußballspieler stehen für das gute Deutschland, was vielleicht auch daran liegt, dass der in Polen überaus beliebte Papst Benedikt XVI. aus Bayern kommt.

So ist denn die Grundstimmung im Legia-Stadion auch überaus freundlich. Nur als der Stadionsprecher den Namen von Torhüter Bernd Dreher vorliest, gibt es leise Pfiffe. Das Volk hatte auf Oliver Kahn gehofft, aber der hat sich kurz vor dem Abflug mit Kreislaufproblemen abgemeldet. Trainer Magath hat außerdem Lucio, Demichelis und Sagnol zu Hause gelassen, Makaay sitzt auf der Bank, aber Ballack spielt, und der bekommt mehr Applaus als jeder Legia-Spieler.

Das Spiel ist eine einseitige Angelegenheit. 3:1 gewinnen die Bayern, Ballack und Salihamidzic werfen ihre Trikots ins Publikum. Fröhlich verlassen die Warschauer Fans das Stadion, die Teddy-Boys sind offenbar zu Hause geblieben. Auf dem Weg zum Bahnhof gerät der Linienbus zuweilen in bedenkliche Schräglage. Grün-weiß-rote Schals wehen aus dem Fenster, und es dröhnt ein Lied durch die Warschauer Nacht. Der Text ist schwer zu verstehen, aber die Melodie klingt irgendwie nach „Yellow Submarine“.

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