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Niels Giffey, 23, spielte bis 2010 in der Jugend von Alba Berlin. In vier Jahren an der Uni Connecticut gewann er zwei Meistertitel und wechselte im vergangenen Sommer zurück zu Alba.

© imago

Alba Berlin vor dem Play-off-Auftakt gegen Oldenburg: Niels Giffey: "Die Hälfte meines College-Lebens war ich im Minus"

Erste Saison bei Alba Berlin - nach vier Jahren am US-College: Niels Giffey im Interview - über das Erwachsenwerden im Profisport, die Heimkehr nach Berlin und Albas Play-off-Start.

Alba Berlin feiert doppelt Jubiläum: Im 25. Jahr der Vereinsgeschichte nehmen die Berliner Basketballer auch zum 25. Mal an den Play-offs teil. Gegner im Viertelfinale sind die Baskets Oldenburg. Im ersten Spiel der „Best of Five“-Serie genießt Alba am heutigen Sonntag Heimrecht (20.15 Uhr, Arena am Ostbahnhof, live bei Sport1). Obwohl die Berliner erst am letzten Spieltag der Hauptrunde Platz eins verpassten, geben sie nicht die Meisterschaft als Ziel aus. „Unser Saisonziel ist weiter das Halbfinale“, sagt Geschäftsführer Marco Baldi. Trainer Sasa Obradovic warnt vor dem Tabellensiebten, der unter dem neuen Coach Mladen Drijencic vor einem Monat den Pokal gewann. „Man hat schon oft gesehen, dass ein Team gerade nach einer schwierigen Saison mit einem Trainerwechsel die beste Leistung abruft, wenn es darauf ankommt“, sagt Obradovic, der Alba dennoch als Favoriten sieht: „Wir haben den besten Verteidiger, den MVP und – ohne große Arroganz – ich bin zum besten Trainer gewählt worden.“ Am Sonntag kann er wieder auf Spielmacher Alex Renfroe zurückgreifen, der nach der Geburt seiner Tochter aus den USA zurück ist.

Zum Gesprächstermin im Alba-Trainingszentrum kommt Niels Giffey zu Fuß und mit einem Buch unter dem Arm. Es handelt von US-Außenpolitik und Regimewechseln, „das einzige Buch, das ich im Studium spannend fand“, sagt Giffey, jetzt will er es endlich zu Ende lesen. Mannschaftskapitän Alex King trudelt zum Training ein, eine Frage im Gesicht: „Und?“ Giffey grinst. „Bestanden. Endlich, Alter.“ Am Morgen hat er seine Führerscheinprüfung erfolgreich absolviert.

Niels Giffey, können Sie erklären, was in amerikanischen Sportarten mit dem Begriff „Rookie“ gemeint ist?

Ein Rookie ist jemand, der neu im System ist. Ein jüngerer Spieler.

Sehen Sie sich selbst als Rookie?

Puuh, ich bin 23 Jahre alt. Es ist zwar meine erste Saison, aber ich würde mich nicht als Rookie bezeichnen.

Weil Sie in vier Jahren auf dem College schon Titel gewonnen haben, vor zehntausenden Zuschauern gespielt haben und sogar im Weißen Haus von Präsident Obama empfangen wurden?

Ich habe einfach schon Erfahrungen gemacht, in der Nationalmannschaft gespielt. Das war eine Sache, die ich mir vorgenommen habe, als ich nach Berlin gekommen bin: Ich werde mir nicht dieses Jugendspieler-Ding aufschreiben lassen.

Was meinen Sie damit?

Dass man immer noch sagt, „… aber er ist noch ein Jugendspieler“. Nee, ich will Leistung bringen. Und das war’s. Ich will das Vertrauen, ich möchte aber nicht gehätschelt werden.

Haben Sie in dieser Saison, Ihrer ersten als Profi, Anfängerfehler gemacht?

Das würde ich nicht sagen. Es war eine Umstellung, die mit den Unterschieden zwischen dem amerikanischen und dem europäischen Basketball zu tun hatte. Ich habe mit 23 gleich im ersten Jahr in der Euroleague gespielt und bin nicht step by step hochgegangen. Da habe ich auch mal Lehrgeld bezahlt. Aber ich habe mir jetzt nicht gleich ein dickes Auto gekauft, in das mein ganzes Geld reingeflossen ist.

Ohne Führerschein wäre das auch nicht so clever gewesen.

Richtig.

Abgesehen vom Sport: Wie groß war die Umstellung vom Studentenleben am College aufs Profidasein?

Da hat sich schon viel verändert. Am College ist man enger mit den Leuten. Ich habe in einem Studentenwohnheim gewohnt, da hörst du schon beim Aufwachen: Der eine ist wach, der andere hat schon die Mikrowelle angemacht, noch einer ist schon in der Vorlesung. Du siehst die Jungs 24 Stunden am Tag. Hier ist es etwas mehr Arbeitsalltag. Du siehst die Leute zwar schon, hast aber privat weniger mit ihnen zu tun.

In Ihrem ersten Jahr auf dem College haben Sie dem Tagesspiegel mal gesagt, dass Ihnen am Basketballerleben das Klassenfahrtsgefühl gefällt. Ist das Leben als Profi jetzt eher mit einem Bürojob zu vergleichen? Mit einem Chef, der auch mal lauter wird?

Ja, das ist wirklich so. Die College-Trainer haben einen anderen Anspruch. Alle drei Tage sagen die (verstellt die Stimme, auf Englisch): „Ich mache bessere Männer aus euch Jungs. Es geht hier nicht um Basketball. Es geht um das Leben. Darum, wie man ein Mann wird.“ Hier bei Alba geht es nur um Basketball. Auf dem College ist der Weg das Ziel. Hier ist das Ziel das Ziel. Sieg oder Niederlage. Egal wie gut du dich verstehst oder wie hart du gearbeitet – am Ende musst du die Siege einfahren.

Macht es deshalb weniger Spaß?

Nein. Wir haben bei Alba auch wirklich eine geile Truppe zusammen. Mit anderen Leuten könnte das schwieriger sein, gerade im ersten Jahr.

Wie war es für Sie, aus der großen weiten Welt in Ihre Heimatstadt Berlin zurückzukommen?

Ich hatte gemischte Gefühle. Mich hat es super gefreut, meine Familie zu sehen und mich um sie kümmern zu können. Ich kann mich in die U-Bahn setzen und bin in fünf Minuten zu Hause. Aber ich muss mich auch um viele Sachen kümmern, die dir auf dem College abgenommen werden. Du kannst dich eben entscheiden, wie du dein Leben leben willst. Das ist eine große Bürde – aber es macht auch Spaß. Du kannst deine Wohnung aussuchen, dein gesamtes Umfeld kreieren. Als junger Sportler ist es selten, auch das Geld zu haben, um sich ein paar Sachen zu leisten.

Der erste Vertrag, das erste eigene Geld, die erste eigene Wohnung – sind Sie im vergangenen Dreivierteljahr schnell erwachsen geworden?

Würde ich nicht sagen. Es hat sich nicht viel geändert. Aber ich musste ein paar Sachen angehen, für die ich vorher einfach zu faul war. Zum Beispiel: Führerschein. Mich um die kleinen Dinge kümmern. Über die Finanzen drüberschauen und nicht nur zum EC-Automaten gehen und gucken, was auf dem Konto ist. Die Hälfte meines College-Lebens war ich sowieso im Minus.

Das ist jetzt nicht mehr so.

Zum Glück nicht.

Alba hat Sie gleich zum neuen Gesicht des Vereins gemacht, zum Aushängeschild. Wie war das für Sie?

Es hat Spaß gemacht. Natürlich habe ich ein bisschen Druck verspürt. Und mich selbst unter Druck gesetzt, wenn es mal scheiße gelaufen ist. Ich kann mich ganz gut von anderen Meinungen abschirmen und habe eine relativ dicke Haut. Aber dadurch, dass mir vom ersten Spiel an Verantwortung übertragen wurde … natürlich willst du es dann richtig machen.

"Bei Alba geht es viel analytischer zu."

Alba feiert diese Saison den 25. Geburtstag des Vereins – und hat Sie gleich auf das große Jubiläumsplakat gedruckt. Neben den Klublegenden Obradovic, Harnisch, Rödl, Demirel und Ihrem Jugendidol Wendell Alexis.

Ich fand’ das sehr geil. Extrem geil. Ist natürlich ein bisschen promo. Aber ich kann das nur positiv sehen. Die pushen mich halt echt – auf dem Spielfeld und daneben.

Auf dem Spielfeld wirken Sie oft sehr ruhig und eher in sich gekehrt. Warum?

Unser Trainer Sasa Obradovic fordert von uns, sehr ruhig zu bleiben. Es ist auch sehr schwierig, emotional zu sein, wenn der Coach so über-emotional ist. Wie soll ich da bei jedem Dreier Freudentränen heulen? Sasa ist über-analytisch. Für große Emotionen bleibt da auch nach Siegen nicht viel Zeit.

Wissen Sie, wie viele Spiel Sie diese Saison bisher absolviert haben?

63.

Mitgezählt?

Nein, ich habe das gestern zufällig irgendwo gelesen.

Wie ist es für Sie, gleich im ersten Jahr eine Saison zu spielen, die fast NBA-Länge hat. In den Play-offs sollen ja schließlich auch noch mindestens neun Spiele bis zum Meistertitel dazukommen.

Das ist schon tough. Mental, physisch auch. Du hast nie mal zehn Tage spielfrei, wo nur trainiert wird. Daran war ich vom College gewöhnt. Mir fehlt das Krafttraining, wo man sich hundertprozentig auspowern kann. Es war wirklich eine Umstellung, dem physisch und mental standzuhalten.

Andererseits verlangt der Trainer, dass Sie sich im Training total verausgaben.

Das sehen Sie falsch. Sasa achtet wirklich sehr darauf, dass wir für’s Spiel fit sind. Der Spielplan lässt es ja auch gar nicht anders zu. Wir arbeiten intensiv, aber das Training auf dem College war viel, viel härter und physisch anstrengender. Hier geht es viel analytischer zu. Es wird viel unterbrochen, viel taktisch besprochen, jede Einzelheit wird auseinandergenommen.

Auf dem College waren Sie ein Spezialist: Sie sollten gut verteidigen und Dreier werfen. Jetzt müssen Sie eine neue Rolle für sich finden – in einem Team, das Titel gewinnen soll. Wie macht man das?

Gute Frage. Gerade bei großen Vereinen gibt es die Schwierigkeit für deutsche Spieler, sich zu sehr unterzuordnen. Klar: Die Amerikaner haben die dicken Verträge und sind die Führungsspieler, deswegen kämpft man mit seiner Rolle. Ich kenne nur einen Weg, um sich da rauszukämpfen: Individualtraining, länger in der Halle bleiben, härter an den Sachen arbeiten, die dir noch fehlen. Sehen Sie mal: Heute ist kein offizielles Training angesetzt – trotzdem kommen viele unserer deutschen Jungs.

Als Sie aus den USA zurückgekommen sind, wollten Sie nach der Landung als Erstes einen Döner essen. Mussten Sie sich von diesem Laster trennen?

Das ist Quatsch. Ich habe meine Ernährung schon umgestellt. Aber in den USA habe ich mit Leuten zusammengespielt, die haben Chips zum Abendbrot gegessen und waren trotzdem die Über-Athleten. Ich habe ein paar Hertha-Spieler kennengelernt, ich kenne ein paar Leute von den Volleys – als Mannschaftssportler kann man schon noch ein bisschen snacken. Man ist schon noch ein bisschen freier als ein Einzelsportler, der nur auf seinen Körper angewiesen ist und weniger auf Technik, Spielwitz und Spielverständnis.

Dieses Jahr steht die EM mit der Vorrunde in Berlin an. Ist das ein großes Ziel für Sie, gerade als Berliner?

Auf jeden Fall. Das ist mein Sommerplan.

Womöglich stehen Sie dann mit Dirk Nowitzki zusammen auf dem Feld.

Das wäre genial. Nicht nur mit ihm zu spielen, sondern mit ihm zu trainieren, Zeit zu verbringen, zu lernen. Ich glaube, Dirk möchte Dinge weitergeben. Detlef Schrempf kam ab und zu nach Deutschland zurück, hat aber wenig zurückgegeben. Ich glaube, Dirk ist da anders.

Was können Sie von Dirk Nowitzki lernen?

Keine Ahnung. Alles. Bestimmt nicht nur eine Sache, sondern vieles.

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