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Alt, langsam, hüftsteif? Die Kritik an Mijatovic trifft eigentlich das ganze Team. Foto: p-a/ZB

© picture alliance / ZB

Sport: Allein in der Defensive

Kapitän Andre Mijatovic gilt vielen als Schuldiger für Herthas Abwehrschwäche.

Berlin - Andre Mijatovic hat am Samstagabend das gemacht, was er immer nach getaner Arbeit macht. Er hat seinen Fernseher eingeschaltet und sich das Spiel seiner Mannschaft gegen Bayer Leverkusen noch einmal in voller Länge angeschaut. „Ich bin als Analysefreak bekannt“, sagt der Kapitän von Hertha BSC. „Das macht mir viel Spaß.“ Spaß? Andere hätten die Aufzeichnung des Spiels eher als weiteren Beleg für die Krise der Samstagabendunterhaltung im deutschen Fernsehen verstanden. Drei Gegentore kassierte der Berliner Fußball-Bundesligist gegen Leverkusen. So etwas sieht man als betroffener Verteidiger gar nicht gerne.

Am Tag danach musste Mijatovic sich die Frage gefallen lassen, ob er gerade eine Formkrise durchmache. Der Kroate guckte etwas irritiert, sein Blick schärfte sich. „Das seh ich nicht so“, sagte er nach kurzer Pause. „Ich hatte auch gute Szenen gegen Leverkusen.“ Für die Öffentlichkeit aber wird Herthas schwindende Stabilität in der Defensive vor allem an Mijatovic festgemacht: Zu alt, zu langsam, ein bisschen hüftsteif – so lautet die Kritik, die immer wieder gegen ihn vorgebracht wird. Herthas Verteidiger registriert solche Urteile. „Ab und zu bekomme ich das mit“, sagt er. „Aber ich spiele nicht für die Medien. Ich spiele für Hertha BSC.“ In den Medien gilt Mijatovic trotzdem mehr und mehr als Wackelkandidat. Inzwischen wird ihm sogar unterstellt, sich in Zweikämpfen bewusst zurückzuhalten, um nicht die fünfte Gelbe Karte zu sehen und damit seinen Stammplatz aufs Spiel zu setzen. „Quatsch“, sagt Mijatovic. „Früher oder später wird es sowieso passieren.“

Der Innenverteidiger sah gegen Leverkusen vor dem 2:3 in der Tat nicht glücklich aus. Aber wer sieht schon glücklich aus, wenn Sidney Sam, einer der besten Hochgeschwindigkeitsdribbler der Bundesliga, in höchstem Tempo auf einen zukommt – und man im Rückwärtsgang und ohne Sicherung das eigene Tor verteidigen soll? „Als letztes Glied in der Kette schaut man bei Gegentoren immer ein wenig blöd aus“, sagt Trainer Markus Babbel.

Wenn man wissen will, was damit gemeint ist, dass für die Defensive nicht allein die Viererkette zuständig ist, sondern die ganze Mannschaft, muss man sich nur die drei Leverkusener Tore vom vergangenen Wochenende ansehen – weil die Berliner nämlich genau das nicht getan haben: als Mannschaft verteidigt. Vor dem 1:2 konnte Lars Bender unbehelligt durchs Mittelfeld spazieren, bevor er einen Pass in die Schnittstelle der Viererkette spielte; den beiden Treffern nach der Pause ging jeweils ein Ballverlust in der Vorwärtsbewegung voraus. Mijatovic und Roman Hubnik, sein Kollege in der Innenverteidigung, mussten sich in diesen Situationen ziemlich verlassen vorkommen. „Natürlich kannst du dann auch Glück haben“, sagt Herthas Kapitän.

Es ist noch nicht lange her, dass die Mannschaft dieses Glück gar nicht in Anspruch nehmen musste. Hertha überzeugte durch den kollektiven Willen zur Defensive. Nahezu perfekt war das im Auswärtsspiel beim Meister Dortmund zu beobachten, als die Berliner den bespielbaren Raum in der Zentrale derart verknappten, dass die Dortmunder allenfalls mit Flanken Herthas Strafraum erreichten. Für den kopfballstarken Mijatovic war dieses Szenario wie gemalt.

Der Kroate, der heute 32 Jahre alt wird, leidet mehr unter Herthas Entwicklung, als dass er für sie verantwortlich ist. „Ich weiß, dass ich kein Überspieler bin“, sagt Mijatovic. „Aber ich kann gut mithalten.“ Und es gibt bisher keine Hinweise, dass sein Trainer dies grundsätzlich anders sieht. Babbel hat Mijatovic, obwohl Neuzugang, im Sommer 2010 auf Anhieb zum Kapitän ernannt. „Er ist jemand, der die Sachen klar anspricht und mir sehr viel hilft“, sagt er. Aber auch sportlich schätzt Babbel den Innenverteidiger anders ein, als weite Teile der Öffentlichkeit es tun. „Als er in der vorigen Saison ausgefallen ist, hatten wir große Probleme“, sagt Herthas Trainer. Als er zurückkam, lief es wieder. „So was vergisst man nicht.“

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