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Sport: Allein unter Kindern

Nach vielen Rückschlägen erreicht Flavia Pennetta bei den US-Open erstmals das Halbfinale.

New York - Das übliche Shakehands sparten sie sich, Flavia Pennetta und Roberta Vinci fielen sich am Netz gleich in die Arme und verharrten dort eng umschlungen für einen Moment. Seit 20 Jahren sind die beiden Italienerinnen befreundet, „sie ist mehr wie eine Schwester für mich“, sagte Pennetta. Und das war wohl das Schwierigste gewesen in diesem Viertelfinale der US Open. Keine von beiden mochte der anderen den größten Erfolg ihrer Karriere vermiesen, doch sie wollten ihn beide unbedingt. Pennetta gelang es besser, die Nerven im Zaum zu halten, und sie wollte diesen Sieg wohl noch ein bisschen mehr. Sie bezwang Vinci mit 6:4 und 6:1 und steht mit 31 Jahren zum ersten Mal in einem Grand-Slam-Halbfinale, wo sie heute auf Viktoria Asarenka trifft. „Ich kann es gar nicht glauben“, freute sich Pennetta, „es war so schwer, gegen Roberta zu spielen. Aber ich habe mein großes Ziel erreicht.“ Vinci war als Nummer 13 der Welt eigentlich die Favoritin, doch sie kam nie richtig in die Partie rein. „Ich gönne es Flavia“, sagte sie, wohl wissend, was ihre Freundin in den letzten Jahren alles durchlitten hatte.

Allein die letzten zwölf Monate waren für Pennetta eine einzige Tortur gewesen. Eine Handgelenksverletzung plagte sie, beileibe nicht ihre erste, schwerwiegende Blessur und nicht das erste Mal, dass sie um ihre Karriere bangen musste. Wieder biss sie sich durch, überstand die sechsmonatige Pause und harte Rehamaßnahmen. Doch Pennetta tat sich schwer bei ihrer Rückkehr. Nur drei Siege gelangen ihr in den ersten sieben Turnieren, sie rutschte aus den Top 100. Ein harter Schlag für eine, die es noch vor vier Jahren als erste Italienerin unter die besten zehn geschafft hatte. „Ich habe viel geweint und gezweifelt“, sagte Pennetta, „aber ich liebe diesen Sport, und ich wollte es unbedingt wieder schaffen.“ Seit Mai lief es etwas besser, in Wimbledon kämpfte sie sich ins Achtelfinale und kletterte danach zumindest auf Rang 83. Doch längst war sie als Pionierin von ihren erstarkten Landsfrauen abgehängt worden: Sara Errani sogar als Nummer fünf, Vinci, Francesca Schiavone und Karin Knapp, sie alle lagen weit vor Pennetta. „Ich habe einfach versucht, noch härter zu arbeiten, jeden Tag“, sagte sie. So kehrte ihre leidenschaftliche Art, mit der sie Tennis spielt, bei den US Open zurück, und sie steigerte sich von Runde zu Runde. Errani, die ehemalige Siegerin Swetlana Kusnezowa und die gesetzte Simona Halep – sie alle bekamen ihren Mix aus kraftvollem Grundlinientennis und cleveren Variationen zu spüren.

Pennetta ist nicht nur mit ihrer Spielweise eine Ausnahmeerscheinung auf der Tour, sie wirkt auch inmitten dem Gros der ewig Kind gebliebenen Akteurinnen, denen alles im Alltag abgenommen wird, wie eine der wenigen erwachsenen Frauen. Sie hatte kaum eine Wahl, denn gerade, als ihre Karriere richtig in Schwung kam, wurde ihre Mutter wegen fahrlässiger Tötung zu einer einjährigen Haftstrafe und einer Schadenersatzzahlung von 150 000 Euro verurteilt. Auf der Farm der Familie in Brindisi war es zu einer tragischen Explosion gekommen. Bei der Kollision zweier Lastwagen war ein Mensch ums Leben gekommen. Pennetta ließ sich jedoch nicht unterkriegen. Dass sie ein italienisches Vollblutweib ist, bekam Anastasia Rodionowa mal während einer Doppelpartie zu spüren. Die Australierin hatte sie und ihre Partnerin Gisela Dulko wüst beleidigt. Pennetta bot Rodionowa einen Faustkampf an – die zog kleinlaut zurück.

Pennetta steht wie ein Fels hinter den Menschen, die sie liebt, und so musste sie nicht zweimal überlegen, ob sie ein Turnier spielen oder Trauzeugin bei Dulkos Hochzeit sein würde. Sie selbst wollte auch heiraten, lange Zeit war Pennetta mit dem ehemaligen French-Open-Sieger Carlos Moya liiert. Der Spanier war ihr ganzes Leben. Doch dann betrog er sie mit einer TV-Moderatorin, und Pennettas Welt brach zusammen. Erst in ihrer Biografie „Mitten ins Herz“ konnte sie vor zwei Jahren ihren Schmerz aufarbeiten. „Ich hatte alles für ihn aufgegeben, sogar mich selbst“, schrieb sie, „ich war wie betäubt.“ Am schlimmsten war das Mitleid der anderen, sie wollte nicht bedauert werden. Doch sie wünscht sich mehr denn je eine Familie, Tennis ist längst nicht mehr alles für Flavia Pennetta: „Durch die Reiserei verpasst man zu viel von den wichtigen Dingen. Und ich will einfach nichts mehr verpassen.“ Petra Philippsen

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