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Sport: Alles auf Gelb

US Postal dominiert das Zeitfahren und verhilft Lance Armstrong ins Trikot des Tour-Führenden

Bei seinen großen Siegen pflegt Lance Armstrong triumphal zu jubeln. Als er etwa bei der Tour 2001 die Königsetappe nach L’Alpe d’Huez gewann, sah man ihn beide Fäuste in die Höhe recken, so als wolle er herausschreien: „Euch habe ich es gezeigt.“ Seine Freude über den Sieg beim Mannschaftszeitfahren von Cambrai nach Arras fiel leiser aus – erst beim Überqueren der Ziellinie legte sich ein erleichtertes Lächeln auf das angespannte Gesicht des Champions. Es war ein wichtiger Baustein für seinen sechsten Tour-Sieg. Aber es war noch keine Entscheidung.

Dass Lance Armstrong nach diesem Zeitfahren noch nicht beruhigt dem Rest der Tour entgegensehen kann, lag nicht zuletzt an der neuen Regel, die den Zeitverlust bei der Mannschaftsprüfung begrenzt. Die präzise abgestimmte Formation des Amerikaners war mehr als eine Minute schneller als die Mannschaft seines Herausforderers Tyler Hamilton, und sogar eine Minute und 19 Sekunden schneller als das T-Mobile-Team von Jan Ullrich, das hinter der spanischen Mannschaft Illes Balears Vierte wurde. Doch dank der Regel bekommt Jan Ullrich nur 40 Sekunden aufgebrummt und 39 Sekunden geschenkt. Somit hat Ullrich nun in der Gesamtwertung 55 Sekunden Rückstand auf Armstrong. Das versetzt ihn noch nicht in Panik, aber immerhin sagte er im Ziel. „Ab jetzt zählt jede Sekunde.“ Nach dem Prolog, in dem er 15 Sekunden auf Armstrong eingebüßt hatte, klang das noch entspannter.„Das sind Sekunden – in den Bergen werden Minutenabstände gemacht.“

Immerhin – Jan Ullrich ist auch wegen der von ihm zuvor kritisierten neuen Regel noch im Rennen. Dass Lance Armstrongs Mannschaft nicht den vollen Lohn ihrer Arbeit einfahren konnte, interessierte den Champion nur wenig. „So ist die Regel nun mal, über deren Sinn müssen Sie mit den Offiziellen diskutieren“, sagte Armstrong. „Aber immerhin habe ich den Trost, nach dem heutigen Tag zu wissen, dass ich die beste Mannschaft Rennen habe.“ Immerhin, fügte er hinzu, habe das Zeitfahren die Gesamtwertung ein wenig entzerrt. „20 Sekunden auf Tyler Hamilton und 40 Sekunden auf Jan ist doch kein unbedeutender Abstand.“ Vor allem, wenn man bedenkt, dass Armstrong im vergangenen Jahr mit nur 61 Sekunden Vorsprung gewann und die diesjährige Tour erst fünf Tage alt ist.

Nicht alle US-Postal-Fahrer durften sich gestern freuen. Der Tscheche Pavel Padrnos musste in der Zeitung „Le Monde“ lesen, dass er sich zusammen mit dem Quick-Step-Fahrer Stefano Zanini im Oktober in einem Doping-Prozess verantworten müsse. Er wird beschuldigt, beim Giro d’Italia 2001 gegen Anti-Doping-Gesetze verstoßen zu haben. Ein nachträglicher Ausschluss der beiden Fahrer von der Tour gilt allerdings als unwahrscheinlich.

Gestern verwandelten schwere Regenfälle die ultraleichten Carbon-Maschinen der Profis zu unsicheren Untersätzen. Das Team Phonak von Tyler Hamilton brachte nur fünf von neun Mann ins Ziel. T-Mobile und USPostal tasteten sich vorsichtig auf den Kurs und büßten deshalb auf den ersten 19 Kilometern schon mehr als 30 Sekunden ein. Doch während US Postal sicherer wurde, blieb Jan Ullrichs Team zurückhaltend. Ullrichs Sturz im letzten Zeitfahren des vergangenen Jahres hatte offenbar Spuren hinterlassen. Er sei aus Angst vor Aquaplaning nicht das letzte Risiko eingegangen, bestätigte Ullrich. Auf seine Chance, zum ersten Mal seit sechs Jahren das Gelbe Trikot anzuziehen, muss er nun warten, bis es ins Massif Central geht.

Lance Armstrong wird indes morgen zum 60. Mal in seiner Laufbahn in Gelb an den Start gehen. Doch festhalten will er vorerst an dem vertrauten Kleidungsstück nicht. „Ich würde es gerne behalten, aber ich werde nicht meine Mannschaft aufreiben, um es in Nordfrankreich zu verteidigen. Ich brauche die Jungs, wenn es darauf ankommt, in den Bergen.“ Die Regenetappe von Cambrai war eben noch keine ganz große, noch keine Entscheidung. Aber immerhin ein deutlicher Vorgeschmack auf das, was da noch kommt. Zweifel an Armstrongs Stärke und der seiner Mannschaft hat nun jedenfalls niemand mehr.

Heute im Fernsehen: Die 5. Etappe, Amiens-Chartres, live.

SENDEBEGINN 14 Uhr (ZDF),

14 Uhr (Eurosport)

Sebastian Moll[Arras]

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