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Sport: Als die Favoriten plumpsten

Aus aussichtsloser Situation holen die Synchronspringer Wels/Schellenberg Silber – und sind traurig

Plötzlich stand dieser Typ mit seinem Röckchen auf dem Brett. Keiner wusste, wo er herkam, aber Kampfrichter, Zuschauer, Sicherheitsleute und vor allem Andreas Wels und Tobias Schellenberg starrten auf den unerwünschten Gast, der erst wippte und dann elegant ins Wasser hüpfte. Bei einem anderen, unbedeutenderen Wettkampf hätten Wels und Schellenberg gelacht, aber das olympische Finale im Synchronspringen vom Drei-Meter-Brett ist eine verdammt ernste Angelegenheit. Und so ein Kerl stört unheimlich, wenn man selber auf dem Brett steht und sich gerade für seinen vierten Durchgang fertig macht.

„Da kommt so eine Pfeife mit einem Röcken und klaut uns die Goldmedaille“, schimpfte Wels später. Die Konzentration war gestört, ihren dreieinhalbfachen Salto vorwärts gehechtet brachten Andreas Wels aus Halle und Tobias Schellenberg aus Leipzig deshalb nicht optimal ins Wasser. Die beiden rutschten vor dem letzten Durchgang auf den sechsten Platz ab.

Am Ende aber holten sie Silber, „im kuriosesten Wettbewerb, den ich je erlebt habe“ (Schellenberg). Erst plumpste im letzten Durchgang einer der favorisierten Chinesen derart ungeschickt ins Wasser, wie noch kurz zuvor der Typ im Röckchen und den Clownsschuhen. Dann streifte der erfahrene Russe Dmitri Sautin mit einem Fuß das Brett und fiel wie ein Stein hinab. So rückten die Deutschen vor. Nur die Griechen Nikolaos Sirandis und Thomas Bimis waren am Ende besser. Ausgerechnet die Griechen, die Wels und Schellenberg vor Athen noch mehrfach klar besiegt hatten.

Und wenn ihnen dieser Flitzer nicht den vierten Sprung vermasselt hätte, sagt Wels, dann hätten sie die Griechen auch in Athen abgehängt. Ihr Vorsprung vor dem letzten Durchgang auf Sirandis/Bims wäre groß genug gewesen. Dann hätten auch die Kampfrichter nichts mehr ausrichten können.

Im Kunstspringen ist es offensichtlich wie beim Eiskunstlaufen. Da wird mit Noten geschoben, da wird manipuliert, da knicken ängstliche Juroren ein. So muss man sich das vorstellen, wenn man Wels und Schellenberg zuhört. „Wenn 5000 Griechen einen Riesenlärm machen, trauen sich Kampfrichter nicht, eine niedrigere Wertung zu geben, obwohl die angebracht gewesen wäre“, sagt Schellenberg. Und Wels erklärt: „Der Gastgeber hat doch immer einen Bonus, das kennen wir aus den USA. Da haben die US-Springer immer hohe Noten.“

„Kampfrichter vier“ ist ihm zum Beispiel aufgefallen. Wo der herkommt, muss er noch herausfinden, aber Wels hat genau registriert, wie der im fünften Durchgang votierte. Wels und Schellenberg sprangen den zweieinhalbfachen Salto vorwärts mit Schraube, wie die Griechen auch. Kampfrichter vier gab den Deutschen acht Punkte für die Synchronität, den Griechen aber neun. „Dabei waren wir klar besser“, sagt Wels. „Wenn er uns nur 8,5 Punkte gegeben hätte, wären wir jetzt Olympiasieger.“

Interessant ist nur, dass diese Notengebung offenbar keinen aufregt. „Dass der Gastgeber einen Bonus erhält, ist doch normal“, sagt Schellenberg. Und Wels fügt hinzu: „Damit haben wir gerechnet. Die Deutschen haben keinen Bonus, nie. Uns helfen ja nicht mal die kleinen Nachbarländer. Österreich oder die Schweiz.“ Das Schlusswort gehört Tobias Schellenberg: „Wenn die Olympischen Spiele in Deutschland stattgefunden hätten, dann wären wir jetzt Olympiasieger.“

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